Henry - Das Buch mit Biss (German Edition)
hatte, dass sie
Caleb so verletzt hatte. Er war noch immer verschwunden. Ich starrte ins
Nichts, bis meine Schwester mich am Arm packte.
„Komm,
wir spielen eine Runde Karten.“ Das hatten wir schon lange mehr gemacht. Uns
mit Kartenspielen die Nacht vertrieben, doch ich war einverstanden.
Wir
spielten fünf Runden. Vier davon gewann ich.
Glück
im Spiel.
Kapitel 49
Eine Familie vereint
Am nächsten Morgen
erwartete uns eine Überraschung. Nero tauchte in der Mitte unseres Wohnzimmers
auf, kaum dass die Hunde ihr Frühstück hinuntergeschlungen hatten. Jeremy und
ich saßen gerade auf der Couch, während ich gebannt dabei zusah, wie er mit
Genuss seine zweite Müslischüssel leerte.
Jeremy
– noch immer nicht an die vampirischen Eigenarten meiner Familie gewöhnt –
verschluckte sich, und ein kleiner Schwapp Milch ergoss sich auf das weiße
Sofa.
Ich
für meinen Teil betrachtete Nero mäßig interessiert.
Er war
die ganze Nacht unterwegs gewesen. Nicht, dass das ungewöhnlich wäre, denn Nero
war schon immer ein Einzelgänger. Jemand, der sich von den schützenden Wänden
eines Zuhauses schnell eingeengt fühlte. Ungewöhnlich war, dass wir diesmal
erfuhren, was er die ganze Nacht über getrieben hatte. Denn Nero war nicht
allein. Aus seinem Schatten trat Caleb, und sah selbst für einen Untoten
merkwürdig blass aus. Isobell, die gerade ins Zimmer gekommen war, stand da,
wie angewurzelt.
Kassia
versuchte den Moment der Stille zu überspielen indem sie ihn fragte, ob die
Neuigkeiten zu ihm durchgedrungen waren.
Caleb
nickte. „Nero hat mir erzählt, was los ist. Der Rat hat auch mir nichts
mitgeteilt. Scheint so, als wären wir eine Familie von Verrätern.“
Er und
Isi sahen sich an.
Verrat.
Das
Wort schwelte unheilschwanger über ihren Köpfen.
Ein
Blick genügte. Es war, als würden sie ein innerhalb weniger Sekunden ein
stilles Gespräch miteinander führen.
Caleb
hatte meiner Schwester nicht verziehen, dass sie noch immer Gefühle für Antoine
hatte. Mehr, als für ihn selbst.
Auf
seinem Gesicht las ich verletzte Gefühle und eine Spur Auflehnung. Er hatte
sich mit der Situation noch nicht abgefunden. Wie hätte er auch, nach all
diesen Jahren. Ich fragte mich unwillkürlich, ob er um Isi kämpfen würde, bis
mir klar wurde, dass es gar keinen richtigen Feind gab. Selbst wenn er Antoine
in Stücke reißen würde, würden sich die Gefühle meiner Schwester nicht ändern.
Ich mochte Caleb, er war ein anständiger Kerl und hatte im Vergleich zu den
anderen am meisten Humor. Na ja, zumindest wenn es die Situation erlaubte.
Momentan wirkte er fern von jedem Lacher. Seine Züge waren in Stein gemeißelt.
Und doch war er zu uns zurückgekommen, nun, da wir ihm am meisten brauchten. Etwas,
was ich zugegebenermaßen nicht erwartet hatte. Caleb war wie ein großer Bruder
für mich. Und doch hatte ich seine Bindung zu mir und dem Rest der Familie
unterschätzt. Isi und ich waren die Einzigen, die irgendwie verwandt waren. Es
gab keine Blutbande zwischen uns und selbst Jahrhunderte des Zusammenlebens
bedeuteten in der Welt der Unsterblichen kaum etwas. Trotzdem waren wir eine
Familie.
Isobells
warme braune Augen waren von einem zaghaften Ausdruck bestimmt. Reue. Und
Schuld.
Die
Spannung im Wohnzimmer war greifbar, bis Nero lässig die Arme nach oben hob und
sich demonstrativ streckte. „Himmel, was ist das denn für eine beschissene
Stimmung? Man könnte ja meinen, wir sind hier in einem Haus voll lebender
Leichen.“
Es war
ein dummer Spruch. Wenig kreativ und anspruchsvoll, aber die Art, mit der Nero
das sagte, ließ den Satz wie eine Bombe platzen.
Jeremy
begann als Erster loszulachen, während ein Schwall an halbgekautem Müsli aus
seinem Mund auf das Sofa tropfte.
Pandora,
die kurz zuvor die Treppe hinuntergeeilt war, nachdem sie die Stimmen im
Wohnzimmer vernommen hatte, musterte ihn naserümpfend. Ich stimmte in sein
Gelächter ein, die anderen folgten, und ich fühlte mich mit einem Mal deutlich
leichter ums Herz.
Bestärkt durch die
Vervollständigung unserer Familie und die Hilfe eines weiteren Kämpfers ging
der Kriegsrat in die zweite Runde.
Kassia
und Ethan unterhielten sich unter vier Augen, während der Rest von uns
versuchte, nicht an Noah zu denken.
Und
was vertreibt Sorgen besser, als eine Runde Scrabble?
Grace
schien ungewohnt ausgelassen als sie „Gourmet“ buchstabierte und mit den
gewonnenen Punkten die Führung erlangte. Ich beglückwünschte sie, denn
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