Henry dreht Auf
gewesen sein. Eva fuhr zu den Braintrees, von denen sie noch beunruhigter zurückkam. Betty war ganz sicher, daß Peter gesagt hatte, er habe Henry fast die ganze Woche nicht gesehen. Und in der Berufsschule war es dasselbe. Sein Büro war leer, und Mrs. Bristol behauptete steif und fest, er sei seit Mittwoch nicht mehr dagewesen. Damit blieb nur noch das Gefängnis. Schreckliches ahnend, griff Eva zum Telefon in Henrys Büro. Als sie den Hörer wieder auflegte, spiegelte sich Panik in ihrem Gesicht. Seit Montag war Henry nicht im Gefängnis gewesen?
Aber er hatte diesen Verbrecher doch auch jeden Freitag unterrichtet ... Nein. Hatte er nicht. Und in Zukunft würde er ihn auch montags nicht mehr unterrichten, weil Mac dem Staat nicht länger zur Last fiel, wenn man es so ausdrücken wollte. Aber Henry hatte doch am Freitag mit McCullam gearbeitet. Nein, hatte er nicht. Häftlingen von dessen Kaliber war doch nicht jeden Abend ein hübscher kleiner Plausch gestattet, ist doch verständlich, oder? Ja, er sei da ganz sicher. Freitags kam Mr. Wilt nie ins Gefängnis.
Während sie allein im Büro ihres Mannes saß, verwandelte sich Evas Panik in unbändige Wut und dann wieder zurück. Henry hatte sie betrogen. Er hatte sie angelogen. Mavis hatte recht, er hatte die ganze Zeit eine andere Frau gehabt. Aber das war unmöglich. Das hätte sie gewußt. So was hätte er nicht für sich behalten können. Dazu war er viel zuwenig schlau und pragmatisch. Es hätte irgendwas gegeben, das ihn verraten hätte, Haare auf seinem Mantelkragen oder Lippenstift oder Puder oder sonst was. Und warum? Doch bevor sie über diese Frage nachdenken konnte, streckte Mrs. Bristol den Kopf zur Tür herein und fragte, ob sie vielleicht eine Tasse Kaffee wolle. Eva riß sich zusammen und beschloß, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen. Sie würde niemandem die Genugtuung gönnen, sie zusammenbrechen zu sehen.
»Nein danke«, sagte sie, »das ist sehr freundlich von Ihnen, aber ich muß jetzt gehen.« Und ohne Mrs. Bristol Gelegenheit zu weiteren Fragen zu geben, marschierte Eva hinaus und ging mit betont festem Schritt die Treppen hinunter. Als sie den Wagen erreichte, war es fast um ihre Beherrschung geschehen, aber Eva hielt durch, bis sie wieder in der Oakhurst Avenue angelangt war. Und selbst angesichts all der Beweise ringsum, die in Gestalt von Henrys Regenmantel, seiner Mappe und seinen Schuhen, die er zum Putzen herausgestellt und nicht geputzt hatte, von seinem Verrat kündeten, gestattete sie sich kein Selbstmitleid. Irgendwas stimmte nicht. Etwas, das bewiesdaß Henry sie nicht hintergangen hatte. Wenn sie doch nur dahinterkommen könnte.
Es hatte irgendwas mit dem Auto zu tun. Henry hätte es nie vor Mrs. Willoughbys Haus stehen lassen. Nein, das war es nicht. Es war ... Sie ließ die Autoschlüssel auf den Küchentisch fallen und erkannte plötzlich ihre Bedeutung. Sie hatten im Zündschloß gesteckt, als sie den Wagen holte, und am Schlüsselring hing auch der Türschlüssel zur Oakhurst Avenue 45. Hatte Henry sie ohne Vorwarnung verlassen und nur den Hausschlüssel, aber keine Nachricht hinterlassen? Eva glaubte es einfach nicht. Nicht eine Sekunde lang. In solchen Dingen hatte ihr Instinkt sie noch nie getrogen, und sie war sich sicher, daß Henry etwas Schreckliches zugestoßen war. Eva setzte den Wassertopf auf und überlegte, was sie tun sollte. »Hören Sie, Ted«, sagte Flint, »Sie packen die Sache an, wie Sie wollen. Wenn Sie mir den Rücken kratzen, kratze ich den Ihren. Klarer Fall. Alles was ich möchte, ist ...«
»Wenn ich Ihren Rücken kratze«, erwiderte Lingon, »werde ich bald keinen Scheißrücken zum Kratzen mehr haben. Jedenfalls keinen, den Sie anlangen möchten, falls Sie ihn unter einer Autobahnbrücke finden sollten. Und jetzt seien Sie so nett und verschwinden Sie.«
Inspektor Flint machte es sich auf einem Stuhl bequem und sah sich in dem winzigen Büro im hintersten Eck einer vergammelten Autowerkstatt um. Abgesehen von einem Aktenschrank, dem üblichen Nackedei-Kalender, einem Telefon und dem Schreibtisch war für Flint das einzig Interessante in diesem Raum Mr. Lingon. Und in Flints Augen war Mr. Lingon ein Gegenstand, ein ziemlich häßlicher Gegenstand, untersetzt, verwahrlost und korrupt. »Na, wie gehen die Geschäfte?« fragte er betont desinteressiert. Draußen vor dem Glasverschlag spritzte ein Mechaniker einen Lingon-Reisebus ab, der sich als de luxe ausgab.
Mr. Lingon grunzte und zündete
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