Herbert, James - Die Brut.pdf
ihren Lasten dem Anführer, der selbst wieder anderen Herren Gehorsam schuldete.
Dunkelheit herrschte, als sie ihren Abstieg begannen, und das Mondlicht drang kaum in die Erdlöcher vor, brach seine Strahlen nur in den wassergefüllten Pfützen. Die Ratten waren an die Finsternis gewöhnt, und die Kreaturen unten im Nest konnten das Sonnenlicht ohnehin nicht vertragen.
Das Leittier des kleinen Rudels spürte die lauernden Blicke ringsum, während es durch den Gang in die tiefergelegene Höhle vorstieß. Es ließ seine Last aus dem Maul fallen und zischte drohend, als ein paar Tiere herankrochen. Dann packte es wieder den Brocken und schob sich zu der entfernten Ecke hinüber, wo sein Meister lag.
Hektisches Scharren von Krallen und hungriges Wimmern erfüllten den unterirdischen Raum. Die Ratte wurde von ihren Artgenossen gehindert, doch sie ließ erneut die Beute fallen und stellte sich mit gebleckten Fängen den Verfolgern. Sie zuckten zurück und duckten sich, bei der geringsten Provokation bereit zum Angriff.
Wenig später ertönte aus der Ecke ein lauteres Zischen, und die unförmige Kreatur auf ihrem Lager aus Gras und Erde wand sich ungeduldig hin und her, wartete auf das Futter, das ihr Diener herbeischleppte. Die Schwarze Ratte packte die schwere Bürde wieder mit den Zähnen und schob sich näher an das fette Wesen heran, voller Furcht, ehrerbietig. Sie erinnerte sich schwach an die Zeit, als die Leitratte noch mächtiger und stärker gewesen war und sie mit ihren scharfen Klauen zum Gehorsam gezwungen hatte - was die Kopfnarbe bewies. Diese Furcht vor ihrem Herrn und Meister hatte sich tief in den Instinkt der Schwarzen Ratte eingegraben. Sie ließ das Fressen in das Stroh des Nestes fallen, und das fette Geschöpf schob seinen unförmigen Körper heran. Seine beiden Köpfe schwankten auf und ab, die Schnauzen zuckten, entblößten Zähne, die stumpf geworden waren, weil sie zu lange nichts mehr zu nagen bekommen hatten.
Die zwei Mäuler stießen auf den blutigen Brocken hinab und saugten schmatzend daran.
Die Ratte schoß vorwärts und wollte ihren Anteil an der Beute. Sie fürchtete zwar ihren Herrn und Meister immer noch, war aber inzwischen mutig genug, um ihren eigenen Führungs-anspruch anzumelden.
Das unförmige Wesen kreischte wütend auf und jagte die Ratte zurück. Seine Leibwächter schossen heran und schlugen mit ihren Krallen nach ihr. Die Balgerei war nur kurz. Die Ratte löste sich von den Angreifern, rollte um die eigene Achse, bot ihnen zum Zeichen der Unterwerfung ihren Nacken dar und winselte um Gnade.
Die Bewacher nahmen wieder ihre sprungbereite Haltung ein, und die Ratte hörte erneut die saugenden, schmatzenden Geräusche aus der Ecke, wo das Leittier seine Mahlzeit fortsetzte. Die übrigen Artgenossen der Leitratte, ebenso unförmig und nackt wie sie, fielen über das Futter her, das die anderen Schwarzen Ratten herangeschleppt hatten; sie zischten und quiekten vor Lust.
Die große Ratte drehte sich um und kroch zum Ausgang des Baues. Kurz vor dem Schlupfloch wandte sie noch einmal den Kopf und starrte auf die schemenhaften, ihre Beute verschlingenden Gestalten. Dann kroch sie, gefolgt von ihrem Rudel, den steilen Gang empor.
13. Kapitel
Zwei Tage nach dem Massaker auf dem Campingplatz, bei dem dreiundsechzig Anwohner und achtundvierzig Polizisten und Ausbilder ums Leben gekommen waren, bemühte sich eine Einsatzgruppe immer noch, alle Ein-stiege und Zugänge zur Kanalisation ausfindig zu machen und zu verschließen.
Obwohl keiner lebensmüde genug war, in die Unterwelt hinabzusteigen, wussten alle Beteiligten, dass sich das Ungeziefer dort unten befand. Sie konnten die Tiere hören. Die Hauptzugänge waren inzwischen zugemauert oder zubetoniert, und man hatte nur kleine Öffnungen für die Schläuche gelassen, durch die der Cyanidstaub in die Gänge geblasen werden sollte. Jetzt suchte man die kleineren Löcher und Öffnungen, durch die das Ungeziefer entweichen könnte, wenn sich die unterirdischen Tunnel mit dem Killergas füllten.
Einzelne Gruppen in Schutzanzügen durchkämmten, von bewaffneten Soldaten begleitet, das Waldgebiet und hielten Ausschau nach >Rattenstraßen<, Spuren im Gras und Erdreich, die durch rege Benutzung der Nager entstanden waren. Diese verfolgte man dann bis zu ihrem Ursprung, jedes Team besaß genaue Pläne des Kanalisationsnetzes, die durch detaillierte Oberflächenbeschrei-bungen ergänzt wurden. Es war eine irrwitzige Aufgabe, die
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