Herbert, James - Die Brut.pdf
sich auf den Rücken und schob einen Arm unter ihren Nacken. Er zog sie an sich, küsste sie erst auf die Wange, dann auf die Lippen. Beide empfanden tiefen Frieden, der Alptraum der letzten Tage war für einen Moment einem stärkeren Gefühl gewichen.
Später sagte Jenny leise: »Ich wollte, wir bräuchten nicht mehr zurückzugehen.«
»Es wird bald vorüber sein.«
»Für mich nicht. Ich glaubte, hier etwas Ruhe zu finden - und eine Erholungspause. Doch diese Vorstellung ist auf eine Art und Weise zerstört worden, die ich mir nie hätte träumen lassen.«
»Eine Erholungspause - wovon?«
Sie wandte den Kopf zur Seite und schwieg. Pender berührte ihr Kinn und drehte sanft ihr Gesicht zu sich herum. »Erzähl es mir, Jenny.«
Sie schaute ihm einige Sekunden forschend in die Augen, ehe sie sprach. »Die Anstellung im Center war für mich eine Art Flucht. Ich glaube, ich wollte mich eine Zeitlang von dem Leben da draußen zurückziehen, und ich hoffte, die Aufgabe, Kindern den simplen Ablauf des Lebens in der Natur begreiflich zu machen, würde auch mein Leben unkomplizierter gestalten. Doch das war ein Irrtum.«
»Wovor läufst du weg?«
»Vor dem üblichen. Du kannst es dir sicher denken.
Welch eine Ironie des Schicksals - ich hatte mir geschworen, nie etwas mit einem verheirateten Mann anzufangen, denn mein Vater verließ aus diesem Grund vor Jahren seine Familie. Wir ahnten nicht einmal, dass er unglücklich war - bis zu dem Tag, an dem er uns erklärte, er würde uns verlassen. Ich hatte seine Liebe, sein Vorhandensein immer als etwas Selbstverständliches betrachtet. Das gleiche traf meiner Meinung nach auch auf meine Mutter zu.
Diese Sicherheit so plötzlich und unvorbereitet zu verlieren, war niederschmetternd. Ich konnte beobachten, wie dieser Verlust meine Mutter jeden Tag mehr veränderte, wie die Verbitterung in ihr wuchs. Und das hat mich sehr erschreckt. Sechzehn Jahre Ehe waren vergessen, ausgelöscht, als hätte es sich nur um eine triviale Affäre gehandelt. Ich sah meinen Vater regelmäßig, ich liebte ihn auch weiterhin. Doch auch er veränderte sich. Es war, als nagte in seinem Innern ein Schuldgefühl - und es wurde vollends geweckt, wenn ich bei ihm war. Zum Schluss fühlten wir uns beide nur noch äußerst unbehaglich, wenn wir uns trafen. Heute sehen wir uns kaum noch.«
Jennys Stimme war während des Sprechens immer leiser geworden. Pender drehte sich auf die Seite und zog sie an sich. Verwundert stellte er fest, dass ihre Augen keine Regung verrieten. Ihr Blick war leer und unbeteiligt, als hätte sich schon vor langer Zeit jegliches Gefühl in ihren Tränen erschöpft.
»Mit fünfzehn gelobte ich dann, nie so zu werden wie jene Frau, die solches Leid verursacht hatte. Gott, wie ich diese Schlampe hasste! Und dann, nur fünf Jahre später, war ich diese Frau. Kannst du dir das erklären, Luke? Wie kann man genau zu dem werden, was man am meisten verabscheut?« Sie schaute ihn hilfesuchend an, als ob ihr Seelenheil von seiner Antwort abhing.
Doch er konnte nur den Kopf schütteln. »Solche Dinge geschehen nun mal, Jenny. Man kann sie nicht immer kontrollieren oder beeinflussen.«
»Ich habe es versucht, ich habe es wirklich versucht.
Aber er bedeutete mir einfach zu viel. Ich hatte keinen Willen mehr, auch wenn ich mich hinterher für das, was ich tat, selbst verachtete. Bitte, Luke, versuch mich zu verstehen.« Sie zitterte am ganzen Körper, Tränen rannen aus ihren geschlossenen Augen.
»Jenny, Jenny, du brauchst mir doch nichts zu erklären.
Das ist längst Vergangenheit, hat nichts mit uns zu tun.«
Und trotzdem schmerzte es ihn.
»Ich möchte, dass du alles weißt, Luke, und ich bitte dich nochmals - spiel nicht mit mir.« Sie öffnete die tränennassen Augen und küsste ihn. »Er war es, der schließlich das Verhältnis beendete, und ich habe mich vermutlich kaum dagegen gewehrt. Ich begehrte ihn mehr als alles auf der Welt, doch zur Bettlerin meiner Liebe wollte ich mich nicht erniedrigen. So wurde ich doch nicht völlig zu der Frau, die ich verabscheute. Ich bin inzwischen darüber hinweg, Luke, das musst du mir glauben. Ich empfinde noch - Respekt für ihn, ich mag ihn immer noch. Doch meine Liebe zu ihm ist tot.« Einen Moment lang starrte sie zur Decke empor. »Nach unserer Trennung ließ ich mich eine Zeitlang treiben. Als mir dann die Stellung hier im Conservation Center angeboten wurde, griff ich zu. Das erschien mir immer noch besser, als ins Kloster zu
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