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Herbst - Ausklang (German Edition)

Herbst - Ausklang (German Edition)

Titel: Herbst - Ausklang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Moody
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konnte, präsentierten sich erheblich stärker verwest. Harte vermutete, dass beides am Gehalt von Salz in der Luft lag, das sich durch alles fraß. Er schaute nach links zum Meer, das ruhig und im Vergleich zum überall vorherrschenden Verderben einladend wirkte. Abgesehen vom Wrack einer riesigen Passagierfähre am Strand, die in fast unmöglich anmutendem Winkel gekentert war und erste Anzeichen von Korrosion erkennen ließ, sah alles trügerisch normal aus. Sonnenlicht schien durch die Lücken zwischen den zunehmend zerrissenen Wolken am Himmel und warf willkürliche Schatten auf die Wasseroberfläche.
    Der Laster hielt an. Harte hörte, wie Jas nach Bayliss’ und seiner Hilfe rief. Er packte seine Schaufel, sprang zu Boden und lief die Straße hinauf, um nachzusehen, worin das Problem bestand. Erleichtert stellte er fest, dass es sich um nichts Schwerwiegendes handelte – nur eine Anhäufung von Eis, die der Bagger ausgelassen hatte und durch die der Wagen es nicht ganz schaffte. Harte begann zu schaufeln, Bayliss tat es ihm gleich. Als sie für Jas’ Geschmack nicht schnell genug vorankamen, sprang Jas aus der Kabine und schloss sich ihnen an. Der vereinte Lärm dreier über die Fahrbahn schabender Schaufeln erfüllte die Luft.
    »Ziemlich trostlos, was, Jas?«, meinte Harte, als sie arbeiteten. Jas erwiderte nichts. Stattdessen suchte er nur flüchtigen Blickkontakt, bevor er die Aufmerksamkeit wieder dem Graben widmete. Er wirkte angespannt.
    »Das reicht«, befand er leise, als die Straße ausreichend geräumt war. Er kletterte zurück auf seinen Sitz. Harte ging zum Heck des Lasters und ließ dabei den Blick über die desolate Umgebung wandern. Er war zuvor nie in Chadwick gewesen, dennoch konnte er sich vorstellen, wie die Ortschaft ausgesehen haben musste, bevor all das passiert war. Harte malte sich die Kleinstadt im vergangenen Sommer aus, vollgepackt mit Menschen, dann ging ihm durch den Kopf, wie unwirklich es sich nach wie vor anfühlte, dass all diese Menschen mittlerweile so gut wie sicher tot waren.
    Die Küste präsentierte sich als trauriger Anblick. Sie wartete mit zahlreichen Cafés und Vergnügungsattraktionen für Kinder auf, die verwahrlos und verwaist den Elementen preisgegeben waren. Auf der anderen Straßenseite befanden sich die Überreste eines Freizeitparks mit den unverkennbaren Umrissen von Achterbahnen und Karussellen, bedeckt von Schnee, doch vereinzelt lugte ihre bunte Bemahlung hervor. Wieder fühlte sich das sichtbare Ausmaß der Verwüstung ernüchternd an – nichts war davon unberührt geblieben. Unwillkürlich bewog es Harte, infrage zu stellen, was es für einen Sinn hatte, sich in Cheetham Castle zu verschanzen. Bewirkten sie überhaupt etwas Positives, indem sie dort blieben, oder steckten sie lediglich die Köpfe in den Sand und verschlossen die Augen vor all dem Verfall?
    Harte sprang zurück auf den Laster, als Driver losfuhr. Er empfand Erleichterung, als sie eine scharfe Linkskurve beschrieben und tiefer in die Ortschaft vordrangen. Vor ihnen rumpelte der Bagger weiter die Hauptstraße entlang und beseitigte mit seiner dauerhaft gesenkten Schaufel Eis und Verwesung. Die Sonne kam hinter einer Wolke hervor, und das plötzliche, matte Winterlicht tat sich mit den Schatten der Gebäude zu beiden Seiten zusammen, um die tote Welt furchteinflößend und bizarr erscheinen zu lassen. In diesem Gebiet waren mehr vereinzelte Leichen wie Schnappschüsse zu vereisten Statuen erstarrt.
    Der Bagger arbeitete sich mühelos durch den zunehmend matschigeren Schnee, erfasste gleichzeitig eine Schicht Verwesung und vermengte beides zu einer widerwärtigen Paste hässlicher Grautöne. Harte sah auf die Haufen hinab, in denen sich Knochen mit sonstigem Geröll vermischten. Der Anblick räumte jegliche Zweifel darüber aus, wie fehlgeleitet die menschliche Rasse insgesamt über ihre Bedeutung im Gesamtgefüge der Dinge gewesen war. Auf den Punkt gebracht, war die Menschheit weggeworfen worden wie leere Flaschen und Lebensmittelverpackungen, wie alles andere auf eine Deponie verfrachtet. Im Verlauf der Zeit , dachte er, wird alles verschwinden. Wenn der Schnee schmilzt und der Frühling kommt, wird überall Grün sprießen – der Ausklang der Menschheit. Unkraut wird zwischen den Überresten der Kadaver wuchern und sich den Weg zwischen Betonplatten und durch Risse in Mauern bahnen. Wilde Tiere werden frei umherstreunen und ihre Baue und Nester in leer stehenden Häusern einrichten .

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