Herbst - Ausklang (German Edition)
Glaubt mir, ich wäre nirgendwo lieber als auf der Insel bei Emma. Nachts beim Einschlafen denke ich an sie und das Baby, und wenn ich morgens aufwache, denke ich immer noch an sie. Aber unter dem Strich würde es keinen großen Unterschied machen, ob ich da bin oder nicht. Es wäre nicht das Ende der Welt.«
»Nein«, pflichtete ihm Harry murmelnd bei. »Das hatten wir schon.«
Michael ignorierte ihn. Er meinte es durchaus ernst.
»Worauf ich hinauswill, ist, dass ich nichts tun kann, um bei der Geburt des Babys zu helfen, oder? Ich meine, ich kann schon einige praktische Aufgaben übernehmen, Dinge holen und so, aber letztlich macht es keinen großen Unterschied für Emma, ob ich bei der Geburt dabei bin oder nicht.«
»Ich glaube, du legst dir da selbst ein gewaltiges Ei«, fand Richard. »Deine bessere Hälfte und dein Kind werden dich sehr wohl brauchen. Auf Cormansey sind 50 andere Leute, die Rennereien erledigen können, aber du bist der Einzige, den Emma wirklich braucht. Meiner Meinung nach solltest du keinerlei Risiken eingehen.«
»Aber das sind Risiken, die wir eingehen müssen «, sagte Michael. »Stell dir nur vor, was für einen Unterschied zehn weitere Seelen auf Cormansey bewirken könnten.«
»Mir ist schon klar, was du meinst, aber ich sehe es trotzdem anders.«
»Tja, dann ist das eben so. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Wahrscheinlich würdet ihr an meiner Stelle alle dasselbe tun.«
»Das ist ja alles wirklich herzergreifend«, warf Harte zynisch ein, »aber es ist ohnehin nur eine theoretische Frage. Wie sollen wir die aus der Burg schaffen? Einfach zum Tor spazieren, anklopfen und fragen, ob Jas sie rauslässt?«
»Er hat recht«, pflichtete Richard ihm bei. »Das ist vergebliche Mühe.«
»Nein, ist es nicht«, widersprach Harry aus der Ecke. »Ich weiß haargenau, wie wir es anstellen.«
35
Caron und Lorna waren in der Küche des Cafés eingesperrt worden, um das Essen zuzubereiten, wie es Jas befohlen hatte.
»Ich würde ja reinpissen, wenn ich es nicht selbst essen müsste«, meinte Lorna, die vor Wut kochte und sich kaum beruhigen konnte. »Für wen zum Teufel hält sich Jas eigentlich?«
Sie rührte einen riesigen Suppenkessel um, den sie mit Gemüse aus Konserven gefüllt hatten. Caron war mit einem Restposten Schokoladenpudding beschäftigt, den sie in den Geschäften gefunden hatten. Sie durchsuchte verschiedene Kisten und Kartons nach einer Großpackung Vanillepulver. Sie war sicher, diese erst unlängst gesehen zu haben.
»Hast du das Vanillepulver gesehen?«, fragte sie.
»Nein, ich hab kein beschissenes Vanillepulver gesehen!«, schrie Lorna sie an. »Verdammte Scheiße, Caron, wir haben über Wichtigeres nachzudenken als über Pudding!«
Ungerührt von Lornas Gefühlsausbruch fand Caron, wonach sie gesucht hatte. Sie ließ die Schachtel auf den Tisch neben dem Gasbrenner fallen, den sie benutzte.
»Das hier soll gut werden«, sagte sie.
»Gut! Um Himmels willen, wen interessiert es einen Dreck, ob das Essen gut schmeckt? Bist du völlig bescheuert? Hast du nicht mitbekommen, was hier passiert ist? Jackson ist tot, falls es deiner Aufmerksamkeit entgangen ist.«
»Natürlich habe ich es mitbekommen«, fauchte Caron, die letztlich doch Emotionen zeigte. »Was für eine dumme Frage.«
»Warum redest du dann über Vanille und darüber, dass es gut schmecken soll? Unsere letzte vernünftige Chance, von hier wegzukommen, hat sich heute in Luft aufgelöst.«
»Das ist mir durchaus bewusst, vielen Dank.«
»Du benimmst dich aber nicht so.«
Caron hielt inne und starrte Lorna an.
»Mich zu beschimpfen, ändert auch nichts daran«, sagte sie, verfiel sofort zurück in ihren ›Muttermodus‹ und redete so mit Lorna, wie sie es getan hatte, wenn sie versucht hatte, eine vernünftige Diskussion mit ihrem verstorbenen Sohn Matthew zu führen. »Ich weiß genau, was vor sich geht. Wir sind, wo wir sind, Lorna, und vorerst können du und ich nicht das Geringste daran ändern. Wir müssen das Beste aus dem machen, was wir noch haben, denn so, wie die Dinge laufen, könnten wir auch das schon morgen verlieren. Hast du irgendwo noch saubere Schüsseln gesehen?«
»Nein«, brummte Lorna.
»Ich weiß nicht, was mit diesen Leuten nicht stimmt«, fuhr Caron fort. Dabei übersah sie die himmelschreiend offensichtliche Tatsache, dass die Leben dieser Leute ohne eigenes Verschulden zerstört worden waren und viele von ihnen auch einige Monate später immer noch
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