Herbst - Beginn
nicht unbedingt ein gutes Zeichen sein musste.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
Sie lächelte, nickte und sah ihn an. »Es geht mir gut«, erwiderte sie unverbindlich.
»Aber ...?«, hakte er nach, da er spürte, dass sie etwas bedrückte. Eindringlich starrte er sie an, und als sie in Augenkontakt mit ihm geriet, erkannte sie, dass es sich nicht vermeiden lassen würde, ihm zu antworten.
»Tun wir wirklich das Richtige?«, fragte sie.
»Indem wir auf einem Parkplatz sitzen und das Meer betrachten?«, erwiderte er flapsig.
Emma zeigte sich nicht belustigt und schüttelte den Kopf. »Nein, ich rede vom Haus und davon, dass wir uns aufs Land zurückgezogen haben.«
Angesichts ihres ernsten Tonfalls setzte Michael sich auf.
»Natürlich tun wir das Richtige«, gab er verteidigend zurück. »Kommen dir etwa Zweifel?«
»Woran sollte ich zweifeln?«
»Ob es richtig war, die Stadt zu verlassen. Denkst du etwa, dass Carls Entscheidung, dorthin zurückzukehren, besser war?«
»Nein.«
»Was dann? Glaubst du nicht, dass wir aus den Überresten der Welt etwas aufbauen können?«
»Ich bin nicht sicher. Du?«
»Ich denke schon, dass wir es schaffen können. Die Leichen verwesen doch, oder? Im Verlauf der Zeit sollten sie verschwinden, und dann können wir –«
»Was ist mit Krankheiten?«
»Über das Land verteilt gibt es unzählige Krankenhäuser voller Medikamente.«
»Wir wissen aber nicht, welche Medikamente wir bräuchten.«
»Das finden wir schon raus.«
»Wie? Sollten wir Medikamente brauchen, müssten wir wissen, welche Krankheit wir haben. Wie willst du das diagnostizieren? Kennst du den Unterschied zwischen Malaria, Typhus und Gicht?«
»Nein, aber dafür gibt es Bücher.«
»Tolle Aussichten.«
Michael stand auf und ging zu ihr. Zwar versuchte sie nach wie vor, jeden Blickkontakt zu vermeiden, aber er baute sich direkt vor ihr auf, sodass sie keine andere Wahl hatte, als ihn anzusehen.
»Wir haben eine Chance«, beharrte er mit leiser, etwas trotziger Stimme. »Na gut, vielleicht keine besonders große, trotzdem ist mir eine kleine Chance lieber als gar keine, und ich habe vor, sie zu nützen.«
»Du hast ja Recht«, seufzte sie. »Es tut mir Leid.«
Eine Weile schwiegen die beiden und starrten einander voll verwirrter Gedanken an.
»Lass uns zurückfahren«, schlug Michael schließlich vor.
Damit wandte er sich ab und sah sich auf dem Parkplatz um. Etwa hundert Meter vom Landrover entfernt stand ein Wagen, der ihm geeignet erschien – nichts Besonderes, bloß eine gewöhnliche, familientaugliche Limousine, aber es war das größte Auto auf dem Feld. Dicht gefolgt von Emma ging er hinüber und öffnete die Tür. Die Überreste des Fahrers und einer Beifahrerin saßen reglos auf den Sitzen. Beide wirkten wie Geschäftsleute gekleidet, und Michael fragte sich, was sie so früh an einem Dienstagvormittag, als die Katastrophe ausgebrochen war, an diesem abgeschiedenen Ort gewollt hatten. Eine heimliche Büroaffäre? Oder ein verheiratetes Paar, das vor dem Weg zur Arbeit ein paar kostbare gemeinsame Minuten verbringen wollte? Was sie auch an diesen Ort verschlagen haben mochte, Michael beugte sich vorsichtig in den Wagen und löste die Sitzgurte. Behutsam und angewidert ergriff er den Fahrer und schleifte den Leichnam auf das Gras, wo er ihn neben einem anderen Auto ablegte. Danach kehrte er zurück und wiederholte den Vorgang bei der Beifahrerin. Er fand, das Mindeste, was er für die beiden tun konnte, war, sie nebeneinander zu legen.
Die Schlüssel steckten noch im Zündschloss. Michael startete den Motor und bedeutete Emma einzusteigen.
»Fahr mir hinterher«, forderte er sie auf. Durch den Motorlärm, der unter Umständen Leichen in der Umgebung auf sie aufmerksam machen würde, fühlte er sich schlagartig wieder bedroht und verwundbar. »Alles klar?«
Emma nickte und nahm hinter dem Lenkrad Platz. Michael rannte zum Landrover, ließ den Motor an und fuhr los.
Hintereinander verließen die beiden Autos den Parkplatz und traten den Weg zurück zur Farm an.
41
Auf dem Rückweg verschlimmerte sich Michaels Orientierungslosigkeit. Die Straßen, denen sie zuvor gefolgt waren, wirkten nun noch unvertrauter. Hinzu kam, dass Michael ständig in den Rückspiegel blickte, um sich zu vergewissern, dass Emma sich hinter ihm befand. Ohne sie auf dem Sitz neben ihm fühlte er sich überraschend unbehaglich. Er hatte sich stärker an ihre Gegenwart gewöhnt, als ihm klar gewesen war. Eigentlich
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