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Herbst - Beginn

Herbst - Beginn

Titel: Herbst - Beginn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Moody
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Gefühlsmischung. Als Kind hatte er das Meer geliebt; während er es nun betrachtete, dachte er unwillkürlich zurück an längst vergangene Ferien, in denen der Himmel stets tiefblau, die Sonne riesig und heiß und die Tage scheinbar endlos gewesen waren. Die Erinnerung an jene weit zurückliegende Zeit weckte in ihm eine mittlerweile vertraute Traurigkeit. Zugleich wirkte dieser Schwermut ein leichtes Hochgefühl entgegen, weil sie sich fernab der Enge des Bauernhauses und der Millionen Leichen wenigstens vorübergehend wie befreit fühlten.
    »Am sichersten wäre es, wenn wir uns eines dieser Autos nehmen«, schlug er vor und deutete auf den Parkplatz. »Wir suchen uns das heraus, das den besten Zustand aufweist, leeren es und fahren damit zurück.«
    Emma nickte, ohne den Blick vom Meer abzuwenden.
    »Glaubst du, wir können gefahrlos aussteigen?«, fragte sie.
    »Ich denke schon«, gab er zurück. »Jedenfalls ist weit und breit nichts Bedrohliches zu sehen. Solange wir in der Nähe des Wagens bleiben, sollten wir in Sicherheit sein.«
    Solchermaßen beruhigt öffnete Emma die Tür und stieg aus. Der böige Wind fühlte sich erfrischend an und trug ihr den unverkennbaren Geruch von Salzwasser zu. Sie blickte an den Horizont und gestattete sich ein paar Sekunden, sich der Illusion hinzugeben, es wäre nie etwas geschehen. Schon viele Male hatte sie das versucht, aber bisher hatte es im Umfeld immer etwas gegeben, das sie an die Hölle erinnerte, zu der die Welt verkommen war. Während sie jedoch über das sanft wogende Wasser schaute, fiel es ihr für kurze Zeit relativ leicht, so zu empfinden, als wäre alles in Ordnung. Sie ging ein paar Schritte vorwärts und blickte hinab auf einen sandigen Strand. Ihr Hochgefühl verpuffte, als sie einen wandelnden Leichnam erspähte, der durch die schäumende, spritzende Brandung stolperte. Jede heranströmende Welle schleuderte die erbärmliche Kreatur aus dem Gleichgewicht. Emma beobachtete, wie das Geschöpf sich beharrlich aufrappelte und sogleich von der nächsten Welle wieder zu Boden gerissen wurde. Eine zweite, nur mit einer Badehose bekleidete Leiche trieb im Wasser selbst. Offensichtlich handelte es sich um die Überreste eines spätsommerlichen Schwimmers, der im Meer von der hereinbrechenden Katastrophe hingerafft worden war. Nach und nach wurde der aufgedunsene, grässlich verfärbte Leichnam ans Ufer gespült.
    Michael hatte die Leichen nicht gesehen. Er saß tagträumend im Gras neben dem Landrover.
    »Weißt du«, sagte er, »wenn man so hier sitzt, könnte man fast meinen, dass nie etwas geschehen ist.«
    Emma erwiderte nichts. Nur wenige Augenblicke zuvor hatte sie dasselbe gedacht, doch der Anblick der beiden Leichen unten hatte sie deprimiert. Allerdings hätte sie es unfair gefunden, ihrem Freund die Freude an diesem Augenblick zu verderben.
    Michael legte sich ins Gras zurück, streckte sich und stützte sich auf die Ellbogen. Er sah Emma an und lächelte.
    »Weißt du, was ich jetzt gerne hätte?«, fragte er.
    »Was?«, gab sie mit geheucheltem Interesse zurück.
    »Ein Sandwich«, antwortete er. »Ein großes, dick belegtes Sandwich aus frisch gebackenem, knusprigem Brot. Mit Salat, Schinken, geriebenem Käse und Majonäse. Und dazu ein Glas frisch gepressten Orangensaft.«
    »Auf der Farm haben wir Schinken in Dosen und ein wenig Majonäse«, sagte Emma und setzte sich neben ihn. »Und Orangensirup.«
    »Ist nicht ganz dasselbe, oder?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Denkst du, wir werden je wieder ein frisches Sandwich essen?«
    Michael überlegte eine Weile. »Vielleicht. Ich wette, wir könnten selber Brot backen und Käse herstellen. Auch Schinken, wenn es uns gelingt, ein Schwein einzufangen und zu schlachten. Außerdem könnten wir Obst und Gemüse anbauen, wenn wir uns ein Gewächshaus bauen.«
    »Du solltest dich nach einem Kleingarten umsehen«, scherzte Emma.
    »Vielleicht sollte ich das wirklich«, meinte Michael halbernst. Traurig seufzte er und schaute zum Himmel auf. »Irgendwie ist das alles so widersinnig, oder?«
    »Was?«
    »Alles, worüber wir gerade geredet haben. In ein paar Sekunden haben wir die Arbeit von rund sechs Monaten aufgezählt. Sechs Monate, nur für ein beschissenes frisches Sandwich mit Salat und ein Glas Orangensaft.«
    »Ich weiß«, meinte sie mitfühlend.
    Michael gähnte und streckte sich. Er musterte Emma, die plötzlich tief in Gedanken versunken schien. In den letzten Tagen hatte er gelernt, dass dies

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