Herbst - Beginn
Im Raum herrschten nachgerade greifbare Feindseligkeit und Wut vor. Es stank nach Verrat.
Die Welle der Feindseligkeit ließ Michael unvermittelt stehen bleiben. Er drehte sich zu Emma und Carl um. Die drei standen ungeschützt mitten im Saal zusammen.
»Was soll denn das?«, fragte Michael mit leiser Stimme.
»So ist es schon, seit ihr beide losgezogen seid«, erwiderte Emma. »Die anderen scheinen ein echtes Problem mit dem zu haben, was wir tun.«
»Verdammte Idioten«, fauchte Carl. »Das ist nur deshalb so, weil sie wissen, dass wir Recht haben. Wir sollten ihnen sagen, dass –«
»Wir sagen ihnen gar nichts«, fiel Michael ihm ins Wort. Die überraschende Befehlsgewalt brachte Carl verdutzt zum Schweigen. »Verschwinden wir einfach.«
»Was denn, jetzt sofort?«, fragte Emma verblüfft. »Sind wir schon soweit? Müssen wir nicht erst ...«
Michael sah sie an. Sein Gesichtsausdruck ließ keine Zweifel über seine Absichten offen.
»Was soll es bringen, noch länger zu warten?«, zischte er. »Wir sind besser damit bedient, bei Tageslicht zu fahren, also sehen wir zu, dass wir es bestmöglich ausnützen. Lasst uns abhauen.«
»Bist du sicher –«, setzte Carl an.
»Du hörst dich an, als hättest du Zweifel«, stellte Michael barsch und in einem Tonfall fest, der beinah wie ein Knurren klang. »Wenn du willst, kannst du ja hier bleiben.«
Carl schüttelte den Kopf und wandte die Augen ab. Er fühlte sich eingeschüchtert und unter Druck gesetzt.
»Ach, drauf geschissen«, meinte Emma mit etwas lauterer Stimme. »Du hast Recht. Verschwinden wir einfach von hier.«
Michael wandte sich wieder dem Rest der Überlebenden zu, die ihn und seine Gefährten nach wie vor anstarrten. Er räusperte sich. Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte oder warum er sich überhaupt die Mühe des Versuchs machte. Es schien einfach nicht richtig, sich davonzustehlen, ohne ein letztes Mal zu versuchen, die anderen von der Sinnhaftigkeit dessen zu überzeugen, was sie taten.
»Wir fahren«, verkündete er. Seine Worte hallten durch den kalten Holzraum. »Wenn jemand von euch mitkommen will ...«
»Verpisst euch«, spie Stuart Jeffries ihm entgegen, stand von seinem Stuhl auf und kam auf Michael zu. Die beiden Männer standen einander von Antlitz zu Antlitz gegenüber. »Steigt einfach in euren verdammten Wagen und verpisst euch«, presste er hervor. »Ihr setzt uns alle einem Risiko aus. Jede Sekunde, die ihr hier verbringt, ist eine Sekunde zu viel.«
Michael blickte eine scheinbare Ewigkeit in das erschöpfte Gesicht seines Gegenübers. Er hätte Jeffries und den anderen unzählige Dinge sagen können – unzählige Gründe, weshalb sie ihm folgen und sich nicht im Gemeindezentrum abschotten sollten –, doch die an Hass grenzende Wut in den Augen des anderen Mannes ließ keinerlei Zweifel daran offen, dass jedes Wort sinnlos gewesen wäre.
»Komm mit«, forderte Emma ihn auf, ergriff seinen Arm und zog ihn weg.
Michael ließ den Blick ein letztes Mal durch den Saal wandern und schaute in jedes der ihn anstarrenden, verzweifelten Gesichter. Dann kehrte er ihnen den Rücken zu und ging.
Carl lief voraus, dicht gefolgt von den beiden anderen. Nach wenigen Schritten hinaus in die kalte Luft wurde die Tür des Gemeindezentrums hinter ihnen zugeworfen und verriegelt. Mit dem deutlichen Gefühl, dass es kein Zurück mehr gab, was plötzliche Nervosität und Verunsicherung heraufbeschwor, tauschten die drei Abtrünnigen verkniffene Blicke und stiegen in den Van. Michael ließ den Motor an und fuhr auf die Hauptstraße. Dabei hielt er einmal an, um einen spindeldürren Leichnam mit ölig glänzender Haut vor dem Wagen vorbeiwanken zu lassen.
14
Weniger als eine Stunde nach Antritt der Fahrt hatten Furcht und Skepsis von Carl, Michael und Emma Besitz ergriffen. Zuvor hatte das Verlassen ihrer vermeintlichen Zuflucht wie die einzige Möglichkeit gewirkt, doch nun, da sie das Gebäude und die anderen Überlebenden tatsächlich hinter sich gelassen hatten, setzten Unsicherheit und Angst vor dem Unbekannten ein und übernahmen das Kommando. Zweifel, die an Paranoia grenzten, suchten Michael heim, während er sich um Konzentration bemühte, um den Van in Bewegung zu halten. Das Hauptproblem, so schloss er, bestand darin, dass sie eigentlich nicht wussten, wohin sie unterwegs waren. Das Finden eines sicheren Unterschlupfs hatte anfangs so einfach gewirkt, aber nun, da sie sich draußen befanden und die kläglichen Überreste
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