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Herbst - Beginn

Herbst - Beginn

Titel: Herbst - Beginn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Moody
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konnte sie einen feinen, milchig-weißen Film über beiden Augen erkennen. Auf der Haut, insbesondere um Mund und Nase, prangten offene Wundstellen, und das fettige Haar war strähnig und verfilzt. Sie blickte den Rest des gertendünnen, in viel zu weite, dreckige Kleider gehüllten Körpers hinab und betrachtete eingehend den Brustkorb auf Anzeichen von Atmung. Es war keinerlei Bewegung zu erkennen.
    Michael hatte sie aufmerksam und mit derselben Faszination beobachtet, mit der sie auf den Leichnam starrte.
    »Was meinst du mit leer?«, fragte er.
    »Genau, was ich gesagt habe«, murmelte sie, ohne die Augen von dem toten Mann abzuwenden. »Sie sind leer. Sie bewegen sich, wissen aber nicht warum. Es ist fast so, als wären sie gestorben und hätten dabei aber vergessen, still zu liegen und sich nicht mehr zu rühren.«
    Nachdenklich nickte Michael und beobachtete eine weitere der Kreaturen, die ein Stück vor dem Van ziellos über die Straße schlurfte. Carl betrachtete wieder das Gesicht des Leichnams, den er stützte, dann ließ er die Arme sinken, sodass die Kreatur sich wieder bewegen konnte. In dem Augenblick, in dem er den Griff löste, stolperte die Leiche vorwärts und torkelte weiter.
    »Wenn sie nicht denken können, warum ändern sie dann die Richtung?«, fragte er.
    »Ganz einfach«, antwortete Emma. »Sie tun es nicht bewusst. Wenn du ihnen zusiehst, wirst du feststellen, dass sie die Richtung nur dann ändern, wenn sie nicht mehr weiter vorwärts können.«
    »Aber warum? Wenn sie keine Entscheidungen treffen können, dann sollten sie auch nicht in der Lage sein zu merken, dass sie feststecken. Sollten sie nicht einfach anhalten und warten, wenn sie gegen eine Mauer laufen?«
    Emma zuckte mit den Schultern.
    »Das ist bloß eine Grundreaktion, nicht wahr?«, meinte Michael.
    Sie nickte.
    »Ich vermute es. Wohl eine der grundlegendsten Reaktionen. Selbst Amöben und Regenwürmer sind fähig, so zu reagieren. Wenn sie auf ein Hindernis stoßen, ändern sie die Richtung.«
    »Was willst du also genau sagen?«, drängte er nach. »Denken sie nun oder nicht?«
    »Ich bin nicht ganz sicher ...«, gestand sie.
    »Du klingst, als wolltest du sagen, dass sie unter Umständen noch eine Restfähigkeit zu Entscheidungen besitzen.«
    »Könnte stimmen.«
    »Andererseits scheinen sie auf Autopilot zu laufen und sich nur deshalb zu bewegen, weil sie es können.«
    Abermals zuckte Emma mit den Schultern, allmählich verärgert.
    »Herrgott, ich weiß es nicht. Ich spreche bloß laut aus, was ich denke.«
    »Und was genau denkst du? Was vermutest du wirklich, dass mit ihnen geschehen ist?«
    »Sie sind fast tot.«
    »Fast tot?«
    »Ich denke, dass 99 Prozent des Körpers tot sind. Die Muskeln und Sinne sind ausgeschaltet. Sie atmen, denken oder essen nicht, aber ich glaube, etwas arbeitet noch in ihnen. Etwas auf Basisebene. Die grundlegendsten Kontrollmechanismen.«
    »Wie zum Beispiel?«, wollte Michael wissen.
    »Keine Ahnung.«
    »Und was vermutest du?«
    Emma wirkte zögerlich. Sie fühlte sich überhaupt nicht sicher bei dem, was sie von sich gab. Eigentlich improvisierte sie nur aus dem Stegreif.
    »Ich bin mir einfach nicht sicher«, seufzte sie. »Wahrscheinlich ist es ein Instinkt. Sie haben jegliches Gefühl für Identität oder Sinnhaftigkeit verloren, sie existieren einfach noch. Und sie bewegen sich nur, weil sie es können. Aus keinem anderen Grund.«
    Als Emma bewusst wurde, dass sie zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geworden war, entfernte sie sich vom Wagen und ging auf die Reihe der Geschäfte zu ihrer Rechten zu. Sie fühlte sich unbehaglich. In den Augen ihrer beiden Gefährten verkörperte sie durch ihre begrenzten medizinischen Erfahrungen und Kenntnisse eine Expertin auf einem Gebiet, über das niemand wirklich etwas wissen konnte.
    Auf dem kalten Boden vor einer Bäckerei versuchte der Körper eines gebrechlichen, alten Mannes sich aufzurappeln. Die schwachen Arme fuchtelten nutzlos an den Seiten.
    »Was ist mit dem dort?«, fragte Carl und spähte vorsichtig über Emmas Schulter.
    »Keine Ahnung«, murmelte sie.
    Michael, der den beiden anderen gefolgt war, stupste Emma in die Schulter und deutete auf einen umgestürzten Rollstuhl einige Meter von dem Leichnam entfernt. Emma blickte vom Rollstuhl zu dem alten Mann und wieder zurück, dann kauerte sie sich hin. Von der verwesenden Haut des Greises ging ein solch widerwärtiger Gestank aus, dass sie an sich halten musste, um nicht die

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