Herbst - Beginn
Hand auf den Tisch niedersausen und hob die Stimme an. »Herrgott, wie oft muss ich es noch sagen? Du musst dich von der Vergangenheit abkapseln.«
»Das versuche ich doch. Mir ist klar, dass ich niemandem helfen kann, aber ich glaube kaum, dass du so darüber nachgedacht hast wie ich.«
»Was soll das heißen?«, fragte Michael und setzte sich aufrechter hin. Aus seiner Stimme sprach eine Mischung aus Besorgnis und Verärgerung.
»So wie du möchte ich, dass wir sicher sind«, erklärte sie. »Aber hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, ob es wirklich schon vorbei ist?«
»Was?«
»Wer sagt, dass schon alles vorüber ist? War das Aufstehen der Leichen letzte Woche der letzte Akt?«
Michael begriff, worauf sie hinauswollte; ein plötzlicher kalter Schauder lief ihm über den Rücken.
»Was denkst du?«
»Ich weiß es nicht«, gestand sie und sackte wieder vorwärts. »Hör zu, Michael, ich glaube ja auch, dass du Recht hast und wir auf uns selbst Acht geben müssen. Trotzdem möchte ich die Gewissheit haben, dass was immer dem Rest der Welt widerfahren ist, nicht auch mir zustoßen wird. Dass wir bisher unversehrt sind, bedeutet doch nicht automatisch, dass wir immun sind, oder?«
»Und denkst du, wir sollten –«
Michaels Worte wurden von einem jähen lauten Krachen abgeschnitten, das von draußen stammte und durch das ansonsten stille Haus hallte. Er sprang auf und rannte hinaus, wo Carl arbeitete. Er fand Carl mit dem Kopf in den Händen im Gras sitzend. Durch die halb offene Schuppentür sah er auf dem Boden eine Werkzeugkiste, die unverkennbar durch die Gegend getreten oder wütend zu Boden geschleudert worden war.
»Alles in Ordnung?«, fragte Michael.
Carl grunzte etwas Unverständliches, bevor er aufstand und wieder im Schuppen verschwand.
»Geht es ihm gut?«, rief Emma aus sicherer Entfernung von der Hintertür herüber.
Michael drehte sich um und ging zurück zu ihr.
»Ich glaube schon«, antwortete er seufzend. »Er hat wohl nur ein paar Probleme, das ist alles.«
Emma nickte nachdenklich und kehrte ins Haus zurück. Michael folgte ihr ins Wohnzimmer. Sie setzte sich neben ein großes Panoramafenster und starrte hinaus auf den Garten. Es war ein klarer, sonniger Nachmittag, und sie konnte von ihrem Platz aus den Schuppen sehen. Carls Schatten war deutlich darin erkennbar.
Vorsichtig, um Emma nicht zu erschrecken, setzte Michael sich auf die Armlehne des Sofas hinter ihr. Er ergriff eine alte Zeitung vom Kaffeetisch daneben, blätterte ein paar Seiten durch und warf die Zeitung zurück.
»Wenn wir mal davon ausgehen, dass wir tatsächlich immun sind und das alles überleben ...«, setzte er leise an.
»Ja?«, murmelte Emma.
»Glaubst du, wir können aus dem, was noch übrig ist, etwas machen?«
Emma überlegte eine Weile.
»Keine Ahnung. Du?«
Er stand auf, durchquerte das Zimmer und lehnte sich gegen die Wand.
»Wir können es uns hier gemütlich einrichten, davon bin ich überzeugt. Wenn uns danach ist, können wir diesen Ort hier in eine Festung verwandeln. Alles, was wir brauchen, ist irgendwo da draußen. Es geht nur darum, uns aufzuraffen und es zu suchen.«
»Eine abschreckende Vorstellung, oder?«, meinte sie.
»Ich weiß. Es wird nicht einfach werden, aber –«
»Ich glaube, am wichtigsten ist, dass wir entscheiden, ob wir überleben wollen, nicht, ob wir es können.« Sie drehte sich Michael zu und sah ihn an. »Mir ist schon klar, dass wir so gut wie alles haben könnten - verdammt, wenn wir wollten, könnten wir in den Buckingham Palast einziehen ...«
»... nachdem wir alle Leichen rausgeschafft hätten ...«
»Ja, gut, aber du verstehst schon, was ich meine. Wir könnten alles haben, aber wir müssen uns die Frage stellen, ob es etwas gibt, das uns all das erträglich machen kann. Ich will mir nicht ein Bein dafür ausreißen, etwas aufzubauen, nur damit wir hier als Gefangene enden, die bloß die Tage zählen, bis sie an Altersschwäche sterben.«
Michael seufzte. Emmas Ehrlichkeit war schmerzlich.
»Da gebe ich dir Recht. Was also willst du? Nachdem wir uns damit abfinden müssen, dass wir alles verloren haben, was uns je etwas bedeutet hat – was wäre es deiner Meinung nach wert, dafür weiterzuleben?«
Emma zuckte mit den Schultern und starrte wieder aus dem Fenster.
»Ich weiß es noch nicht«, gestand sie. »Ich bin nicht sicher.«
Michaels Verstand begann zu rasen. Bis gestern hatte er noch nicht gewagt, über die Zukunft nachzudenken,
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