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Herbst - Beginn

Herbst - Beginn

Titel: Herbst - Beginn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Moody
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schreckte ihn davon ab.
    Das Essen erwies sich als gut – es war die wohl beste Mahlzeit, die sie bis dahin zusammen genossen hatten. Gepaart mit dem Wein trug es dazu bei, dass sich ein unbehagliches Gefühl der Normalität einstellte – was jedoch den unerwünschten Nebeneffekt hatte, dass sie sich an alles aus der Vergangenheit erinnerten, was sie zu verdrängen versuchten. Michael gelangte zu dem Schluss, dass sich ihre Verluste vielleicht am besten verarbeiten ließen, indem sie darüber redeten.
    »Also«, meinte er nachdenklich kauend, »was hättet ihr beide denn normalerweise an einem Mittwochabend gemacht?«
    Betretenes Schweigen folgte – dasselbe betretene Schweigen, das immer Einzug hielt, wenn es jemand wagte, das Thema anzuschneiden, wie die Welt vor der Katastrophe gewesen war.
    »Ich hätte gelernt oder getrunken«, antwortete Emma schließlich, die ebenfalls spürte, dass es sinnvoll sein könnte, darüber zu reden. »Oder wahrscheinlich beides.«
    »Du hast mitten unter der Woche getrunken?«
    »Jeden Abend.«
    »Was ist mit dir, Carl?«
    Carl stocherte in seinem Essen herum und stürzte einen weiteren ausgiebigen Schluck Wein hinunter.
    »Da hatte ich immer Bereitschaftsdienst«, sagte er gedehnt. Offensichtlich fühlte er sich unsicher dabei, über die Vergangenheit zu reden. Er hatte gerade erst damit begonnen, und schon schmerzte es ihn. »Unter der Woche konnte ich deshalb nicht trinken, aber das habe ich am Wochenende nachgeholt.«
    »Bist du lieber in Kneipen oder in Nachtklubs gegangen?«, wollte Emma wissen?
    »In Kneipen«, antwortete er entschieden.
    »Was war mit deiner kleinen Tochter?«
    Eine unangenehme Pause entstand, und Emma fragte sich, ob sie zu weit gegangen war, etwas Falsches gesagt hatte. Carl starrte auf sein Essen hinab, dann trank er einen weiteren Schluck Wein und leerte damit das Glas. Er griff zur Flasche und schenkte nach, ehe er wieder das Wort ergriff.
    »Sarah und ich gingen immer am Nachmittag in das Lokal«, begann er, wobei seine Augen feucht wurden. »Wir gehörten zur Stammkundschaft. Es war immer jemand dort, den wir kannten. Gegen drei oder vier Uhr fingen wir zu trinken an, und geblieben sind wir meist bis zur Sperrstunde. Es waren auch immer Kinder in Gemmas Alter dort. Sie hatten eine eigene Spielecke; sie hatte Freundinnen, und sie haben immer ...«
    Als der Schmerz unerträglich wurde, verstummte er und ertränkte ihn mit noch mehr Wein.
    »Tut mir Leid«, murmelte Emma instinktiv. »Ich hätte nicht damit anfangen sollen. Das war gedankenlos.«
    Carl erwiderte nichts.
    »Warum hättest du nicht damit anfangen sollen?«, wollte Michael wissen.
    »Was?«
    »Warum entschuldigst du dich? Und warum willst du nicht darüber reden, Carl?«
    Carl schaute auf und funkelte Michael zornig an, während ihm Tränen über das Gesicht rannen.
    »Ich will nicht darüber reden, weil es zu sehr schmerzt«, presste er hervor. »Du hast ja keine Ahnung, wie sich das anfühlt.«
    »Auch ich habe Menschen verloren, die mir nahe standen ...«
    »Aber du hast kein Kind verloren! Du hast nicht den leisesten Schimmer, wie das ist! Kannst du nicht haben!«
    Michael wusste, dass Carl Recht hatte. Er hatte keine Ahnung, ob es sinnvoll oder dumm war, aber er wollte diese Unterhaltung unbedingt weiterführen. In seinen Augen war ihnen der Weg in die Zukunft versperrt, solange es ihnen nicht gelang, die Überreste der Vergangenheit zu bewältigen.
    Carl starrte wieder ins Leere.
    »Ich gäbe alles dafür, wieder in Vorlesungen sitzen zu können«, seufzte Emma. »Töricht, oder? Früher habe ich alles getan, um mich davor zu drücken, und jetzt würde ich am liebsten –«
    »Ihr könnt euch einfach nicht vorstellen, wie es sich anfühlt«, murmelte Carl und unterbrach sie. »Es bringt mich um.«
    »Was?«, hakte Michael behutsam nach.
    »Jeden Morgen wache ich mit dem Wunsch auf, dass alles vorbei ist und ich tot bin«, erklärte Carl. »Jeden verdammten Tag ist der Schmerz schlimmer als am vorherigen. Ich kann mich immer noch nicht damit abfinden, dass sie nicht mehr da sind, und ich ...«
    »Jetzt tut es noch weh, aber das legt sich«, versuchte Michael ihn zu beschwichtigen und bedauerte seine Worte von vorhin. »Es muss mit der Zeit einfacher werden.«
    »Tatsächlich? Weißt du das mit Sicherheit?«
    »Nein, aber ich –«
    »Dann halt gefälligst die Klappe«, forderte Carl ihn mit plötzlich überraschend ruhiger Stimme auf. »Wenn du nicht weißt, wovon du redest, dann

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