Herbst - Beginn
Unterwegs schnupperte es an Leichen und Müll, offenbar auf der Suche nach Futter. Während Carl das Tier beobachtete, hielt es inne. Es hob die Schnauze an und schnüffelte die schale Luft. Langsam drehte es den Kopf, vermutlich in Richtung einer Bewegung, die außerhalb von Carls Blickfeld erfolgte, dann schrak es vor etwas in den Schatten zurück. Der Hund sprang auf und begann, aufgeregt zu kläffen. Carl konnte es zwar nicht hören, doch er erkannte es an der defensiven Körperhaltung und dem wiederholten Rucken des Kopfes. Alles deutete auf Gefahr hin. Binnen Sekunden hatte das Tier durch sein Gebell die Aufmerksamkeit von vierzehn wandelnden Leichnamen erregt. Mit böswilliger, instinktiver Zielstrebigkeit und bisher nie gezeigter Geschwindigkeit umzingelten sie die hilflose Kreatur und fielen über sie her. Und zerrissen sie untereinander von Glied zu Glied.
Trotz allem, was Carl mittlerweile gesehen hatte – der Zerstörung, dem vielen Blut und dem Verlust tausender Leben – entsetzte ihn dieser plötzliche und unerwartete Angriff. Die Leichname wurden mit jedem verstreichenden Tag wacher und tödlicher. Inzwischen schienen sie sich in Gruppen zusammenzurotten und von tiergleichen Instinkten angetrieben zu werden.
Er konnte nicht nachvollziehen, weshalb Emma und Michael solche Anstrengungen unternahmen, um zu überleben. Die Chancen standen überwältigend hoch gegen sie. Wozu auf eine künftige Existenz hinarbeiten, wenn es so unübersehbar sinnlos war? Alles war ruiniert. Es war vorbei. Warum also konnten sie sich nicht einfach damit abfinden und die Wahrheit erkennen, so wie er? Warum gaben sie sich für nichts und wieder nichts solche Mühe?
Carl war klar, dass es aus dieser verdorbenen, gefolterten Welt weder Rettung noch eine Flucht geben konnte, weshalb er nur noch aufhören, abschalten wollte. Er wollte nicht mehr ständig auf der Hut sein und über die Schulter blicken müssen. In den dunklen Stunden, die er alleine verbrachte, gelangte er zu der Erkenntnis, dass er nie wieder Frieden finden würde, bis sein Leben zu Ende war. Allerdings stellte mittlerweile selbst der Tod keine Garantie mehr für ewige Ruhe dar.
Draußen im gesicherten Bereich vor dem Haus arbeitete Michael am Van. Er hatte die Reifen überprüft, den Öl- und Kühlflüssigkeitsstand sowie alles sonstige, was ihm eingefallen war. Die Bedeutung, die der Wagen für sie hatte, konnte gar nicht überschätzt werden – ohne ihn wären sie gestrandet, gefangen auf der Penn Farm. Sie könnten keine Vorräte mehr besorgen, was sie irgendwann in naher Zukunft tun mussten, und sie könnten nicht verschwinden, sollte etwas geschehen, das die Sicherheit ihres Unterschlupfs beeinträchtigte. Mittlerweile betrachteten sie ihn fast als Zuhause. In einer Welt voll finsterer Orientierungslosigkeit hatten sie innerhalb der stabilen Mauern des Bauernhauses endlich ein wenig Stabilität gefunden.
»Bei unserem nächsten Ausflug sollten wir uns ein zweites Fahrzeug besorgen«, schlug Michael vor, während er mit den Händen über die verbeulte Fahrerseite des Wagens fuhr. Er ließ es klingen, als bräuchten sie nur zu den Geschäften fahren, wenn ihnen danach zumute war. Die Realität ihrer Situation strafte die Beiläufigkeit seines Tonfalls Lügen.
»Klingt sinnvoll«, pflichtete Emma ihm bei. Sie saß auf den Steinstufen, die zur Vordertür des Hauses führten. Bereits seit anderthalb Stunden hatte sie dort ausgeharrt und Michael bei der Arbeit zugesehen.
»Vielleicht sollten wir versuchen, etwas Flexibleres zu finden«, fuhr er fort. »Ich meine, diese Karre hier hat uns bislang treue Dienste erwiesen, aber wenn man genauer darüber nachdenkt, brauchen wir etwas, mit dem wir aus jeder Lage entkommen können. Falls wir mal irgendwo auf eine blockierte Straße treffen, müssten wir einen anderen Weg finden. Gut möglich, dass wir dafür über Felder fahren müssten, oder –«
»Ich wüsste nicht, weshalb wir hier oft weg sollten. Nur um uns Lebensmittel oder andere Vorräte zu besorgen.«
»Aber man kann nie wissen, oder? Verdammt, alles Mögliche könnte passieren. Das Einzige, dessen wir sicher sein können, ist, dass nichts sicher ist.«
Emma stand auf und streckte sich. »Klugschwätzer«, meinte sie lächelnd.
»Natürlich ist mir schon klar, was du meinst«, fuhr er fort, während er das Werkzeug einsammelte und verstaute. »Wenn wir hier bleiben, können wir so ziemlich alles tun. Wir könnten eine Ziegelmauer um das Haus
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