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Herbst - Läuterung

Herbst - Läuterung

Titel: Herbst - Läuterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Moody
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noch immer steckte. Er konnte sehen, wie ihr langes blondes Haar im Wind wehte. Sie trug ihre Gesichtsmaske nicht. Himmel, sie konnte atmen! Einen einzigen irrationalen Augenblick vergaß er alles, was sich in den Tagen bis zu diesem ereignet hatte. Und wenn sie atmete, konnte er das dann vielleicht auch? Er stöhnte vor Anstrengung, als er sich langsam aufsetzte und die Hand hin zur Maske hob. Dann hielt er inne und erinnerte sich.
    Harcourt kam noch näher. Sie ging langsam und unbeholfen, ihr Kopf neigte sich zu einer Seite, Arme und Beine wirkten plump und steif. Sie musste verletzt worden sein, denn sie zog ihren rechten Fuß über den Boden nach und war nicht fähig, ihn anzuheben. Dann beleuchtete die Sonne ihr Gesicht, das eine kalte, leblose Maske mit eingefallenen Wangen und dunklen, ausgehöhlten Augen war. Ihr Mund bewegte sich unablässig und schien stumme Worte und Klagen zu bilden. Trotz seines Mangels an Kraft und Energie zwang sich Kilgore dazu, aufzustehen und zu ihr zu gehen. Da seine Beine ebenso schwer und ungelenk wie die seiner toten Kollegin waren, humpelte er schmerzerfüllt durch den Raum und lehnte sich erschöpft gegen das Fenster. Sekunden später krachte Harcourts Leichnam gegen die andere Seite der Scheibe. Er stand ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber, bevor ihn der Lärm und die Erschütterung zurücktaumeln ließen. Während er kurzzeitig unsicher hin und her schwankte, beobachtete er, wie sich der Leichnam umdrehte und sich entfernte.
    Jeder Schritt nach vorne erforderte Anstrengung, doch Kilgore stellte fest, dass er unwillkürlich versuchte, Harcourts hüllengleichem Kadaver zu folgen. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, weshalb; waren es Angst, Neugier oder Nervosität, die ihn dazu antrieben? Lag es daran, dass er genau sehen wollte, zu was er noch werden könnte? Er wartete im Türeingang, um Atem zu schöpfen, bevor er sich wieder vorwärts schob und das Gebäude, von dem er angenommen hatte, er würde darin sterben, verließ. Der Leichnam stolperte weiterhin teilnahmslos vor ihm her und hob sich als dunkle Silhouette gegen die helle, tief liegende Nachmittagssonne ab. Der Himmel, der sich den Großteil des langen Tages über klar und blau präsentiert hatte, begann sich nun zu verdunkeln und färbte sich mit Spuren von tiefroten und violetten Wolkenstreifen. Ein wenig vom Horizont entfernt konnte man bereits den Mond und die ersten hellen Sterne sehen.
    Er folgte Harcourt die Landebahn entlang, vorbei an der Vorderseite des Überwachungsturms und dann ins Freie – hin zu dem Begrenzungszaun.
    Kilgore blieb stehen, er konnte nicht mehr weiter. Zwar war er keine große Strecke gegangen, doch die Anstrengung, sich zu bewegen, war mehr, als er ertragen konnte. Er legte seine Hände auf die Knie und sog langsam einen langen Atemzug der gereinigten Luft ein. Jetzt begann eine andere Halluzination. Sie war viel stärker als irgendeine der anderen, die er gehabt hatte, denn diese schien ihn einzukreisen und zu verschlingen. Es begann mit einem Geräusch. Anfangs war es leise und kam aus keiner bestimmten Richtung, doch es baute sich rasch zu einem ohrenbetäubenden und merkwürdig kontrolliertem Dröhnen auf, dem ein heftiger, stürmischer Wind folgte. Er hob erschöpft seinen schweren Kopf und sah den Helikopter über sich. Durch die plötzliche Ablenkung trat er falsch auf, seine Beine knickten ein, und er fiel auf den Rücken. Schmerzen schossen seinen ausgezehrten Körper nach oben, und er zuckte vor jäher Qual zusammen. Er saß knapp zehn Meter von der Einzäunung entfernt im langen Gras und beobachtete, wie die kraftvolle Maschine in der Luft über den Köpfen der wütenden Leichen schwebte.
    Dann erklang – wie aus dem Nichts – ein anderes Geräusch, und ein Flugzeug schoss über ihm hinweg, bevor es aufsetzte und unsanft auf der Landebahn aufsetzte und erst am anderen Ende der Bahn schaukelnd zum Stehen kam.
    Kilgore beobachtete aus seiner liegenden Position am Rande des Flugplatzes, wie die Leute aus dem Überwachungsturm auftauchten. Er erkannte niemanden mehr von ihnen, sie waren nur noch dunkle, schattenhafte Gestalten. Von seinem Standpunkt aus schien sie nur noch wenig von den Tausenden Leichen, die den Flugplatz umzingelten, zu unterscheiden. Sie wirkten ebenso kalt und nichtssagend wie das, was von Harcourt übrig geblieben war.
    Der Soldat, der zu müde war, um sich aufrecht hinzusetzen, lag auf dem Rücken und starrte in den dunkler werdenden Himmel. Der

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