Herbst - Stadt
meinen Sie?«, murmelte Clare.
»Wir werden andere finden.«
»Wo?«
»Ich weiß es nicht. Sieh her, das ist eine riesige Stadt. Es muss hier irgendwo mehr überlebende Leute geben. Du und ich können nicht die Einzigen sein, oder?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Na, wir haben niemand sonst gesehen, oder?«
»Sie müssen sich versteckt halten. Ich war auch eine Zeit lang zu Hause, bevor ich nach draußen ging und ich wette, dass Hunderte von Menschen in ihren Häusern sitzen und darauf warten, dass etwas geschieht. Früher oder später müssen sie ins Freie gehen um etwas zu Essen und zu Trinken zu finden und ...«
Clare hörte nicht zu. Sie weinte wieder. Obwohl er wusste, dass er nichts tun konnte, um ihre Qual und die Angst zu lindern, und obgleich er auch verstand, dass er nicht der Verursacher ihres Leides war, konnte er als einziger Erwachsener in der Nähe nicht anders, als sich für sie und ihren Schutz verantwortlich zu fühlen. Behutsam legte er eine Hand auf ihre Schulter, dann langte er darüber und zog sie näher. Halb erwartete er, dass sie zurückzucken und ihn wegstoßen würde, und war überrascht, als sie das Gegenteil davon tat und sich mit ihrem vollen Gewicht an ihn lehnte.
»Wann wird das aufhören?«, schluchzte sie, zog die Knie an und machte sich so klein wie möglich.
»Keine Ahnung«, brummte er wahrheitsgemäß.
»Aber wodurch ist das alles passiert?«
»Ich weiß es nicht«, sagte er wieder.
»Wird uns das auch passieren? Braucht es bei uns einfach länger um zu ...?«
»Ich weiß es nicht, Clare«, seufzte er mit einem deutlichen Unterton resignierter Frustration in seiner müden Stimme. »Ich weiß überhaupt nichts und ich kann dir auch keine Antworten geben. Ich weiß genau so viel wie du.«
»Aber ich weiß doch nichts«, beteuerte sie tränenreich.
»Ganz genau.«
Kurze Stille.
»Niemand hatte eine Chance, nicht wahr?«, murmelte sie.
»Dazu war keine Zeit, oder? Ich meine, soweit ich es gesehen habe, ist das, was das alles verursacht hat, wie ein Lauffeuer durch die Stadt gerast.«
»Wie weit, denken Sie, hat es sich ausgebreitet?«
Jack hielt inne, um einen Moment lang nachzudenken. Seit ungefähr einem Tag war es das erste Mal, dass er einen Augenblick gönnte, um sich das mögliche Ausmaß der Katastrophe durch den Kopf gehen zu lassen.
»Keine Ahnung«, räumte er ein. »Aber wenn es sich dabei um eine lokale Sache gehandelt hätte, dann müsste man erwarten können, dass mittlerweile Leute eingetroffen wären, um uns zu helfen.
»Vielleicht glauben sie, dass niemand überlebt hat?«
»Möglich.«
»Oder sie können vielleicht nicht herkommen?«
»Was?«
»Vielleicht ist das, was alle getötet hat, immer noch in der Luft. Vielleicht sind wir immun dagegen und sie können nicht herkommen, ehe die Luft nicht rein ist?«
»Weiß nicht. Du könntest recht haben.«
Ein paar unangenehme Augenblicke folgten, als Jack und Clare beide aufhörten zu sprechen und sich zurückzogen, um wieder über das Geschehene nachzudenken. Es war eine natürliche Reaktion, aber das Grübeln schien niemandem zu helfen. Es gab keine Patentlösungen und noch schlimmer als die Frustration darüber, dass sie das Ganze nicht verstehen konnten, war die Tatsache, dass aus dem Denken unweigerlich ein Erinnern wurde. Und das Erinnern schmerzte.
»Gefällt dir das Sofa?«, fragte Jack plötzlich in dem bewussten Versuch, über Belanglosigkeiten zu reden, statt weiterhin Sinn in einer sinnlosen Situation suchen zu wollen.
Clare war verblüfft und brachte ein halbes Lächeln zustande.
»Hab mich nicht drum gekümmert, wieso?«
»Den Preis davon gesehen?«
Sie saß auf dem Preisschild und richtete sich auf, um es zu begutachten.
»Ist das teuer? Ich musste noch nie ein Sofa kaufen.«
»Teuer?«, fragte er und schüttelte mit gespielter Verzweiflung den Kopf. »Es ist ungeheuerlich. Denise und ich haben unser gesamtes Haus für nur ein bisschen mehr ausstaffiert. Und das ist erst ein paar Jahre her. Es liegt am Geschäft«, fuhr er fort. »Dieses Kaufhaus war immer schon was für Leute mit Geld oder solche, die glaubten, sie hätten welches.«
»Meine Mum mochte diesen Laden«, sagte Clare leise und noch immer schwach lächelnd. »Sie ist oft mit uns hierher gekommen, als wir noch klein waren.«
»Ich denke, jede Mutter kam irgendwann einmal hierher.«
»Was, Ihre auch?«
Er nickte und lehnte sich in seinem Sitz zurück.
»Ja, seit Jahren. Das war früher der einzige Ort, der
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