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Herbstbringer (German Edition)

Herbstbringer (German Edition)

Titel: Herbstbringer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Björn Springorum
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gute Laune nicht. Kaum, dass sie am Freitag aus der Schule gekommen waren, hatte sie sich in ihr Zimmer verkrümelt und es seither nur sporadisch verlassen. Ihre Adoptiveltern schien das nicht sonderlich zu überraschen, weshalb Emily am Abend beschloss, sie zu fragen.
    »Wisst ihr, was mit Sophie los ist?«
    Sie setzte sich neben die beiden auf die Couch. Im Fernsehen lief ein alter James-Bond-Film.
    »Was meinst du?«, fragte Carter, ohne die Lautstärke runterzudrehen.
    »Ich frage mich, ob das vielleicht etwas mit Anne zu tun hat«, sagte Emily bewusst lauter, um Schüsse und quietschende Reifen zu übertönen.
    Sofort hatte sie die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer neuen Eltern. »Sophie hat mit dir darüber gesprochen?« Megan war ehrlich verwundert. Sie und Carter tauschten einen vielsagenden Blick.
    »Hör mal«, begann Carter zögernd. »Du sollst nicht denken, dass wir dir bewusst etwas verheimlicht haben. Es ist nur … wir wollten, dass Sophie es dir selbst erzählt. Und zwar dann, wenn sie dazu bereit ist.«
    »Sophie ist überzeugt davon, dass Anne nicht tot ist.«
    Ihr Vater setzte eine besorgte Miene auf. »Das wissen wir. Wir wissen auch, dass es nicht gut für sie ist. Ihr Psychologe findet es sehr ungewöhnlich, dass Sophie noch immer in der ersten Trauerphase steckt – man nennt das Schock und Verneinung. Aber vielleicht tut sich jetzt endlich was: Anne war ein großer Halloween-Fan und liebte alle Gruselfilme, die sie in die Finger bekommen konnte. Sophie will es ihr anscheinend neuerdings gleichtun. Wir hoffen, dass es eine Form der Verarbeitung ist.«
    Emily nickte. »Deswegen lasst ihr uns zu dieser Filmnacht gehen.«
    Die beiden lächelten. »Was haben wir doch für eine aufgeweckte neue Tochter«, sagte Megan stolz. »Aber genug davon: Hast du Lust, diesen Film mit mir durchzustehen? Ich könnte gut etwas weibliche Verstärkung gebrauchen. Alleine komme ich nicht weit mit meinen Sticheleien.«

    »Wer denkt sich diesen Unfug eigentlich aus?«, fragte Emily Sophie am nächsten Morgen. Sophie hatte sich wieder einigermaßen gefangen. Konkret bedeutete das, dass sie immerhin noch nicht pausenlos quasselte, als die beiden Schwestern im Garten Laub harkten. Es war die erste einiger Maßnahmen, die ihre Eltern als Gegenleistung für den abendlichen Kinobesuch erwarteten. Warum sie es wirklich erlaubt hatten, behielt Emily für sich.
    »Endlich reagierst du mal normal auf etwas. Glaub mir, wenn du nach deiner Freude an staubigen alten Bibliotheken und Dads Musik auch noch James Bond toll finden würdest, müsste ich dich umtauschen.« Missmutig fischte sie Herbstlaub aus den Beeten. »Dabei war der Sommer viel zu kurz«, murmelte sie, als hätte das Wetter sie persönlich beleidigt. »Ich mach dir einen Vorschlag: Warum kümmerst du dich nicht um dein geliebtes Herbstlaub, während ich eben die Einkäufe erledige. Wir müssen uns ranhalten, wenn wir noch mit Jake Kürbisse schnitzen wollen.«
    »Klar, gerne. Dass so ein Kürbis aber nicht wochenlang überlebt, ohne wirklich grausig auszusehen und zu stinken, ist dir bewusst, oder?«
    »Natürlich. Ist doch umso besser. Dann können wir dieses Jahr gleich mehrere schnitzen.«
    Emily machte sich kopfschüttelnd an die Arbeit. Sie konnte sich einfach nicht sattsehen an den kräftigen Farben des Herbstes, die sie aus unerklärlichen Gründen an vergangene Zeiten erinnerten. Auch wenn sie sich in Romanwelten zurückzog, spielten sich die dargestellten Ereignisse für sie ausschließlich im Herbst ab. Es passte einfach besser, fühlte sich heimeliger an.
    Der Nachmittag begann vielversprechend. Überpünktlich kam Jake angeradelt und balancierte nur mit viel Mühe einen gewaltigen Kürbis auf seinem Lenker. Emily sah auf den ersten Blick, dass er anders war. Er war zurückhaltend und still wie sie, hatte schulterlange Haare und schlanke Hände.
    Natürlich entging Sophie nicht, dass die beiden sich tief in die Augen sahen, als sie einander vorgestellt wurden. Emily war sofort fasziniert von Jakes scheuen, dunklen Augen und seinen Klamotten. Buttons von Bands wie Joy Division, Muse oder den Beatles zierten eine zerschlissene schwarze Jeansjacke.
    »Ihr sagt, wenn ich störe, ja?«, stichelte Sophie, und der besondere Moment war verflogen. »Wollten wir nicht einen Kürbis schnitzen? Es sei denn, ihr habt was Besseres zu tun …«
    Emily schoss das Blut in den Kopf. Beschämt wandte sie den Blick ab. Und während sie die Maserung des gefliesten

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