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Herbstbringer (German Edition)

Herbstbringer (German Edition)

Titel: Herbstbringer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Björn Springorum
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Monate hin oder her.«
    Sie schluckte. »Und ich?«
    »Hundertsechsundneunzig.«
    »Beweise es mir.«

    Wenige wussten, welch unaussprechlicher Schrecken in Londons stillgelegten U-Bahn-Tunneln hauste. Niemand in der Vampirwelt konnte mit Sicherheit sagen, wann oder wie die Sirenen aufgetaucht waren. Sie waren eines Tages einfach da gewesen, grausame Kreaturen von entsetzlicher Gestalt, die sogar von vielen Vampiren gefürchtet und von den meisten gemieden wurden.
    In ihrer Form eher einem entstellten Raubvogel auf gekrümmten Beinen denn einem Menschen ähnelnd, führt eine der beliebtesten Legenden ihre Existenz auf die dämonischen Lamien zurück, die im antiken Griechenland viele Jahre für dezimierte Vampirzahlen und entvölkerte Landstriche gesorgt hatten. Michael als Anhänger dieser Theorie zu bezeichnen, wäre zwar nicht falsch, vielmehr jedoch untertrieben: Er war es gewesen, der diese Kreaturen mit eigenen Augen in Griechenland gesehen hatte. Und er war bis heute einer der wenigen, die eine direkte Begegnung mit ihren geifernden Mäulern und messerscharfen Klauen überlebt hatten.
    Man muss kein Prophet sein, um sich auszumalen, wie viel er auf diese Heldentat gab.
    Sehr zu seinem Bedauern war er für ihr Auftauchen in London trotz clever platzierter Andeutungen seinerseits nicht verantwortlich gewesen. Die Macht dieser Bestien, die ihre Opfer mit betörenden Melodien in ihr Verderben lockten, wollte er sich dennoch zunutze machen. Schon lange verfolgte er die Absicht, sie zu zähmen. Er hatte bereits mehr als einen Untergebenen an die Sirenen verfüttert, erst gestern hatte er diesem abstoßenden Ding, das im Monument hauste, Frischfleisch serviert. Frei Haus, quasi.
    Auch wenn es geschmackloses Menschenfleisch gewesen war. Diese verdammten Kreaturen bevorzugten den Geschmack der Unsterblichkeit. Und wäre ihre Anzahl in Londons Unterwelt nicht so gering, würde das Kräftegleichgewicht gehörig in ihre Richtung schwanken.
    Michael hatte vor, die Sirenen, wie viele von ihnen es in Londons Unterwelt auch immer geben mochte, auf der Suche nach dem Herbstbringer als wirkungsvolle Helfer an seiner Seite einzusetzen, und war gerne bereit, niedere Vampire dafür zu opfern. Sein Clan war trotz des verheerenden Geburtenrückgangs immer noch viel zu groß.
    Doch er war nicht allein mit diesem Plan.

    »Warte. Bevor du sagst, was du zu sagen hast: Wieso denkst du, dass etwas passieren könnte, wenn ich die Wahrheit erfahre?«
    Emily wunderte sich über sich selbst. Sie hatte sich nach dieser Enthüllung erstaunlich schnell wieder gefasst und war nach dem kurzen Schockmoment beinahe erleichtert. Vielleicht weil sie es sowieso die ganze Zeit über geahnt hatte? Das könnte auch erklären, weshalb sie Elias’ Worten selbst ohne einen einzigen Beweis Glauben schenkte.
    »Du bist kein gewöhnlicher Vampir.« Trotz allem klang es absurd, wie selbstverständlich Elias dieses Wort benutzte. Als würde er sagen ›Du bist kein gewöhnliches Mädchen‹. »Du bist sogar ein derart ungewöhnlicher Vampir, dass sehr viele unserer Art daran interessiert sind, dich aufzuspüren. Du hast vor sehr langer Zeit etwas gemacht, das von vielen als Hochverrat, von anderen aber als Zeichen großen Mutes angesehen wird.« Seine Gestik ließ keinen Zweifel daran, zu welcher Gruppe er sich zählte.
    »Und sie können mich aufspüren, wenn du mir die Wahrheit sagst? Ist es das, was du mir sagen willst?«
    »Es kommt dem zumindest sehr nahe«, bestätigte Elias. »Du bist nicht ohne Grund unentdeckt geblieben – bis jetzt. Du kannst dich an nichts aus deinem früheren Leben erinnern. Das verhindert gleichzeitig, dass wir deine Gegenwart spüren, wie wir andere Vampire spüren.«
    Erstmals blickte Emily ihn zweifelnd an. »Aber du hast mich gefunden. Und diese … diese Sirenendinger auch.«
    »Gut erkannt, Herbstbringer.« Da war es wieder, sein kleines, entwaffnendes Lächeln. Sie konnte seinem stechenden Blick abermals nicht standhalten und nestelte an einer langen Haarsträhne herum. »Dass ich zur gleichen Zeit wie du in den Schatten unterwegs war, war purer Zufall. Als ich die Musik gehört habe, wusste ich, dass es Intuition gewesen sein muss, die meine Schritte gelenkt hat. Und was die Sirenen angeht, so machen sie keine Ausnahme, was ihr Interesse an dir angeht. Auch wenn sie es eher auf dein Fleisch abgesehen haben.«
    Sie schluckte. »Oh.«
    »Bevor du also der Höhepunkt auf ihrem Speiseplan wirst, muss ich sicherstellen, dass du

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