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Herbstbringer (German Edition)

Herbstbringer (German Edition)

Titel: Herbstbringer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Björn Springorum
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keine Beweise habe. Natürlich kann ich ihn als vermisst melden, doch hier in Woods End würde das kein Polizist ernst nehmen. Sie wissen doch alle, wer mein Großvater ist und welche verrückten Theorien er verbreitet hat.«
    »Die verrückte Theorie über die Existenz von Vampiren zum Beispiel?«
    Jake lachte bitter. »Genau. Ich wollte noch ein paar Tage abwarten und dann meinen Eltern Bescheid sagen.« Wirklich überzeugt klang er nicht. Wieder zwang er sich zu einem Lächeln. Diesmal gelang es ihm schon besser. »Tut mir leid, ich fürchte, in diesem ganzen Durcheinander ist irgendwie untergegangen, dass das Rätsel um deine Vergangenheit zumindest teilweise gelöst ist. Also bist du wirklich das Mädchen aus dem Zeitungsartikel.«
    Sie nickte. Bei der Erinnerung an die seltsame Zeitungsmeldung wurde ihr klar, wie weit sie tatsächlich davon entfernt war, besagtes Rätsel zu lösen.
    »Meine Freundin ist ein Vampir.« Er probierte den Satz, schmeckte ihn wie ein exotisches Lebensmittel. »Mann, ich weiß gar nicht, was ich abgefahrener finden soll: diese Tatsache oder dass ich nicht ausflippe.«
    »Vielleicht ist es einfach zu viel?«
    »Vielleicht. Ich hätte trotzdem nicht gedacht, dass man so eine Enthüllung einfach akzeptiert. Für dich ist es auch ganz schön viel, oder?«
    »Tja. Es ist ein ziemlich komisches Gefühl, fast zweihundert Jahre alt zu sein. Vor allem, weil ich mich an nichts erinnern kann. Gut, knapp drei Jahre und diese paar Minuten, die ich in London nacherlebt habe. Das war surreal.«
    »Ah. Ja. Äh …«, stotterte Jake. »Dieser … Typ …«
    »Elias«, half Emily ihm.
    »Gut, dieser Elias – er kannte dich also von früher? Das muss ein ziemlicher Zufall gewesen sein, in dieser riesigen Stadt genau auf ihn zu treffen.«
    »Das kannst du laut sagen. Ich weiß nicht, ob ich heute hier wäre, wenn er nicht plötzlich aufgetaucht wäre.«
    Jake presste die Lippen aufeinander. »Hmm«, brummte er. Ihm gefiel dieser Teil der Geschichte anscheinend nicht. »Und du hast ihm einfach geglaubt? Ich meine, er hätte sonst wer sein können.«
    »Jake, Elias hat mich vor irgendetwas bewahrt, das in diesen Tunneln haust. Ich wollte nicht stehen bleiben, bis ich mit eigenen Augen sehen konnte, was es war!«
    Er blickte betreten zu Boden. »Tut mir leid. Das war blöd von mir.«
    »Das denke ich auch«, schnappte sie schärfer als beabsichtigt. Aus irgendeinem Grund ertrug sie es nicht, dass jemand etwas gegen Elias sagte. Er hatte sie schließlich gerettet, oder etwa nicht?
    »Hör mal«, sagte sie dann deutlich versöhnlicher, »das mit deinem Großvater tut mir sehr leid. Aber ich bin froh, dass es dir gut geht. Lass uns heute Abend telefonieren, okay? Vielleicht können wir uns ja noch mal sehen.«
    »Wo willst du denn hin?«, fragte Jake ehrlich erstaunt. Bis vor fünf Minuten hätte sich Emily dieselbe Frage gestellt. Die letzten Tage hatte sie stets nur eines gewollt: Jake. Sie wollte seine Nähe spüren, mit ihm über alles reden, sich einfach geborgen fühlen. Aber jetzt wollte sie einfach nur noch allein sein. Allein mit ihren Gedanken. Mit ihrer Vergangenheit. Das Gespräch mit Jake hatte ihr klargemacht, dass sie in dieser Sache auf sich allein gestellt war. Und plötzlich hatte sie keine Angst mehr davor.
    »Ich … ich muss nachdenken. Alleine«, erwiderte sie. Er sah sie verletzt an.
    »Ruf an, wenn irgendwas ist. Ich brauche jetzt einfach ein paar Stunden für mich.«
    Jake nickte, langsam, als würde er versuchen, es zu verstehen. »Gut«, sagte er mit brüchiger Stimme.
    Regen tauchte die Straße in schmutziges Grau. Als ihre Füße über matschiges Laub hinwegschritten, hatte sie nicht zum ersten Mal das Gefühl, zu dieser Jahreszeit zu gehören wie der Wind, der Regen und die frühe Dämmerung.

    Mitten im Spiel hielten die Waisenkinder inne und blickten den Fremden verunsichert an. Es kam nicht oft vor, dass sich Männer auf das bewaldete Grundstück des Sheltering Tree verirrten. Und dieser Mann machte ihnen Angst. Er grinste wie der böse Wolf.
    Bälle rollten ziellos ins Leere, zaghaft blickten Kinderaugen aus ihren Verstecken. Die, die direkt vor dem Neuankömmling standen, rückten enger zusammen und starrten ihn in stummer Eintracht an.
    »Hallo, Kinder«, säuselte er. »Seid ihr auch immer schön brav gewesen?«
    Nach anfänglichem Zögern wippten viele kleine Köpfe auf und ab. Wenn sie in ihrer trostlosen Zeit im Waisenhaus eines gelernt hatten, dann, dass es sich immer

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