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Herbstbringer (German Edition)

Herbstbringer (German Edition)

Titel: Herbstbringer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Björn Springorum
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Privileg ihrer ach so überlegenen Art.
    »Wehe, sie hat ihr neues Kleid verschmutzt. Ich lasse doch nicht umsonst die edelsten Stoffe einschiffen, damit dieses Balg sie im nächstbesten Wald durch den Schlamm zieht. Dieser Abend ist wichtig!«
    Sie verdrehte die Augen. Ihrem Vater zufolge handelte es sich nur dann um eine elementare Veranstaltung, wenn sie ihm die Möglichkeit bot, sich in den Mittelpunkt zu drängen. Die letzten Monate waren eine einzige Abfolge solcher Bälle, Feste, Empfänge und Aufwartungen gewesen. Eine langweiliger als die vorige, ein Gast unausstehlicher als der andere.
    Ihr Blick glitt zweifelnd an ihrem Kleid hinab. »Das gibt Ärger!« Sie pfiff leise durch die Zähne, als sie gleich drei Risse, einen losen Saum und diverse tückische Grasflecken entdeckte. Ihr war die Strafe gleich. Sofern sich die Möglichkeit auftat, etwas anderes zu tragen als dieses grässliche weiße Rüschenmonstrum, würde sie jede Maßregelung auf sich nehmen.
    »Wie wäre es, wenn du schon mal vorgehst und ich sie weitersuche? Wenn sie dich so hört, kommt sie bestimmt nicht freiwillig aus ihrem Versteck.«
    »Ach, sind wir wieder bei dieser alten Leier? Du findest also, ich bin zu streng mit ihr?«
    »Nein. So habe ich das nicht gemeint.« Ihre Kehle zog sich zusammen. Wie immer, wenn sie Furcht aus der Stimme ihrer Mutter heraushörte.
    »Und wie hast du es gemeint?«, fragte er kalt.
    »Du weißt doch, wie sie ist«, sagte sie deutlich kleinlauter. Levana hasste es, wenn sie ihre Mutter so reden hörte. »Es ist nur … Grundgütiger, sie ist noch ein Kind.«
    »Sie ist fast zwölf. Als ich in ihrem Alter war, musste man mich zurückhalten, weil ich die Menschen sonst in Stücke gerissen hätte. Erzähl mir also nicht, dass sie noch ein Kind ist. Sie hat das zu sein, was ich von ihr erwarte. Und dafür hat sie sich in letzter Zeit herzlich dumm angestellt. Schwer zu glauben, dass sie wirklich meine Tochter sein soll. Man könnte meinen, sie verspüre keine Freude daran, diesem Abschaum das Leben zu rauben. Was sollen die anderen denn von mir denken?«
    »So gib ihr doch Zeit.«
    »Zeit!« Er schnaubte verächtlich. »Nur weil wir unsterblich sind, heißt das noch lange nicht, dass wir Zeit haben. Ihr seid in einer Stunde ausgehfertig. Ich warte nicht.«
    Mit diesen Worten stob er davon. Levana konnte selbst aus ihrem Versteck hören, wie ihre Mutter aufatmete.
    »Du kannst runterkommen. Er ist weg.«
    »Aber von hier oben kann man das Meer sehen.«
    »Ein andermal, ja? Bitte komme jetzt herunter.«
    Sie wusste, dass das Spiel vorbei war. Mit einem grazilen Sprung überbrückte sie die fünf Meter zum Boden. Sie glaubte, ein anerkennendes Funkeln in den viel zu oft traurigen Augen ihrer Mutter zu erkennen, das sich bei einem Blick auf den desolaten Zustand ihres Kleides jedoch sofort verflüchtigte. »Das«, entfuhr ihr mit einem Seufzer, »ist eine Katastrophe.«
    »Und wenn schon. Ich habe sowieso keine Lust auf diesen Ball. Wieso kann ich nicht einfach so lange spielen wie ich will?«
    »Mein Herz, weil du kein normales Kind bist.«
    »Normal!« Levana schmollte. »Vater benutzt dieses Wort, als wäre es etwas Schlechtes. Manchmal wäre ich gern normal. Dann hätte ich wenigstens Spielkameraden.«
    Ihre Mutter riss die Augen auf. »Sag das niemals in Gegenwart deines Vaters! Nicht auszudenken, was passierte, wenn er das hören würde.«
    Levana legte den Kopf schief, während ihre Mutter Äste und Laub aus ihrem Kleid zupfte. »Mutter?«
    »Ja, mein Herz?«
    »Warum bist du so …« Sie überlegte, wie sie es umschreiben sollte. »… so anders?«
    Ihre Mutter lachte hell. Doch Levana erkannte mit einem Blick in ihre Augen, dass es nicht echt war. »Anders?«
    »Du weißt schon. Du würdest mich nie bei Vater verraten. Und du beschützt mich.«
    Ihre Mutter blickte sie ernst an. »Wenn ich es denn kann.«
    Levana wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. »Und«, sagte sie deshalb schnell, um den Kloß aus ihrer Kehle zu vertreiben, »du … du tötest nicht gerne. Ich bin genauso wie du. Ich verstehe nur nicht, warum wir so anders sind.«
    Ihre Mutter sah sie immer noch an. Ihr Blick war voller Wärme, voller Güte. »Dafür gibt es einen guten Grund, mein Herz. Nicht alle Vampire sind gleich. Immer wieder gibt es welche, die anders sind. Sanfter. Menschlicher«, wisperte sie. »Das liegt nur daran, dass …«

    Schwärze stahl sich in Levanas Blickfeld, verschlang den dichten Wald und die vertrauten

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