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Herbstbringer (German Edition)

Herbstbringer (German Edition)

Titel: Herbstbringer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Björn Springorum
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Dinge mit dem Orakel zu besprechen als die Gepflogenheiten dieses Abschaums. Er ist ein unbedeutendes Phantom, nichts weiter.
    Und doch ein Phantom, das im Geheimnis um den Herbstbringer nicht die unbedeutendste Rolle spielt.
    Nach allem, was wir über ihn wissen, dürfte ihn diese Sache überhaupt nicht mehr interessieren.
    »Dürfte …« Uriel sprach nun das erste Mal an diesem Abend. »Dennoch spricht einiges dafür, dass auch er nach England zurückgekehrt ist. Zufall?« Seine Stimme klang älter, gezeichneter als einstmals. Michael nahm dies zum Anlass, die Unterredung zu beenden. Achtlos schnippte er einen Schein neben sein fast volles Glas und erhob sich.
    »Also wird es weiterhin Krieg geben«, sagte Uriel in sachlichem Tonfall milden Bedauerns, als würde er über eine schlechte Wettervorhersage sprechen.
    Michael drehte sich nicht mehr um. »Du kannst jederzeit aufgeben.«

    Diesmal wollte sie ganz sichergehen. Gleich nach dem Abendessen war sie auf ihr Zimmer gegangen, hatte das Fenster weit aufgerissen und sich auf die Fensterbank gesetzt. Ignorierte man einmal die offensichtliche Absurdität ihres Vorhabens, dem Herbstwind zuzuhören, erschien es durchaus plausibel, damit bis zum Einbruch der Nacht zu warten. Es fühlte sich richtiger an.
    Wie genau sie es anstellen sollte, etwas zuzuhören, das nicht gerade für seine Gesprächigkeit bekannt war, hatte Elias nicht gesagt. Hatte er es symbolisch gemeint?
    Höchstens als Symbol dafür, dass es verrückt wäre, daran zu glauben, dachte Emily, als sie ihren Blick über stille Häuser, verlassene Autos und leere Wege gleiten ließ.
    Es war beinahe ganz dunkel. Längst hatte der Schein vereinzelter Straßenlaternen bleiche Lichtkugeln in die kühle Nacht gezeichnet. Hatte sie sich das gerade eingebildet, oder hatte der Wind tatsächlich aufgefrischt? Hier oben am Fenster konnte sie sich nicht sicher sein. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass außer ihr niemand mehr wach war, schlich sie die Treppe hinunter, zog sich ihren Mantel über und trat durch die Terrassentür ins Freie.
    In den letzten Tagen war es deutlich kälter geworden. Den Blick auf den mittlerweile von einer undurchdringlichen Wolkenschicht verhüllten Himmel gerichtet, trat sie auf etwas, das mit einem metallischen Knirschen unter ihrem Schuh nachgab. Verwundert blickte sie auf eine leere Coladose hinab. Wie kam die in ihren Garten?
    Schulterzuckend schlenderte sie weiter, ohne Ziel und Richtung. Die alte Schaukel am Ende der Wiese knarrte traurig vor sich hin. Emily setzte sich darauf und wippte sachte hin und her. Wenn man mit dem Rücken zum Haus auf der Schaukel saß, schien man direkt in den Wald hineinzusegeln, der an das Grundstück grenzte.
    Kaum befand sie sich in Gegenwart der alten, rauschenden Bäume, fühlte sie sich geborgen. Wo andere die Vorstellung, allein in einem finsteren Wald zu stehen, gruselig fanden, genoss sie die beruhigende Geräuschkulisse und das Gefühl der Einsamkeit. Inmitten morscher Tannen und bemooster Stämme fand sie mehr Trost als in Gegenwart anderer, fühlte sich nicht so allein mit ihren Gedanken.
    Dann merkte sie, dass sie tatsächlich nicht allein war. Wie zur Begrüßung strich der Wind durch ihr Haar.

    Auf den Dächern Londons gab es endlos viele Terrassen. Dutzende Meter über den brummenden Straßen war mit Ankunft der ersten Wolkenkratzer vor einigen Jahrzehnten eine eigene Welt entstanden, eine unsichtbare Stadt über der Stadt. Brücken, Durchgänge oder Türen verbanden nicht selten ganze Straßenzüge, sodass man beachtliche Wegstrecken auf den Dächern zurücklegen konnte.
    Wer das nötige Kleingeld besaß, konnte seine krummen Geschäfte verborgen vor den wachsamen Augen der schlaflosen Überwachungskameras bequem auf dem eigenen Dach abwickeln. Michael besaß es und hatte von diesen Vorzügen mehr als einmal Gebrauch gemacht, seit er sich dieses Gebäude angeeignet hatte.
    Heute Nacht stand er allein auf dem Dach. Er kochte. Noch hatte er nicht entschieden, was seinen Zorn am meisten anfachte. Schon die Tatsache, dass es mehrere potenzielle Kandidaten dafür gab, machte es schlimm genug. Michael, der es als sein naturgegebenes Recht ansah, stets die Oberhand zu behalten, war nicht mehr Herr der Lage. Wie hatte das passieren können?
    »Pythia«, zischte er in die Nacht. »Du undankbare Verräterin. Nach allem, was ich für dich getan habe.«
    Was Nosophoros betraf, hatte Uriel nicht gelogen. Das herauszufinden war kinderleicht

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