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Herbstbringer (German Edition)

Herbstbringer (German Edition)

Titel: Herbstbringer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Björn Springorum
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und entspannt, als sie nach über einer Stunde den praktisch nur aus Büchern bestehenden London Review Bookshop unweit des British Museum verließ. Zum zweiten Mal in zwei Tagen hatte sie sich in einen Buchladen verliebt.
    Mit einsetzender Dämmerung wandte sie sich wieder in Richtung Camden . Hinter einer Straßenecke lief sie fast in die Arme einer wild gestikulierenden Stadtführerin, die einer buntgemischten und leidlich interessierten Schar gerade die Bedeutung der All Saints Church in Camden erklärte. Sie hatte die Gruppe bereits hinter sich gelassen, als die Worte der jungen Stadtführerin mit der übertrieben großen Brille in ihr Bewusstsein drangen.
    »… Legende nach ist der Keller unter der Kirche über einen Geheimgang mit dem Highgate Cemetery verbunden, an dem wir unsere Tour passend bei Einbruch der Dunkelheit beenden.« Sie setzte ein Lächeln auf. »Natürlich nur, wenn Ihre Nerven stark genug sind.«
    Unauffällig bückte Emily sich, um ihre Schuhe zu binden. Dabei hörte sie weiter gespannt zu.
    »Aber sagten Sie nicht, dies sei eine griechisch-orthodoxe Kirche?«, meldete sich ein beleibter Mann mit schütterem Haar zu Wort, dessen breiter Akzent nach Südstaaten klang.
    »Gut aufgepasst«, lobte sie bemüht neckisch, »allerdings erst seit 1948. Davor unterstand sie der Church of England . Viele Kellerräume sind heute versiegelt und einsturzgefährdet. Man hat den Geheimgang nie gefunden«, sagte sie in dem Bemühen, die Spannung nach dieser Unterbrechung wiederherzustellen. »Diverse Aufzeichnungen über merkwürdige Vorkommnisse unter der Kirche und unerklärliche Geräusche von Schritten sprechen aber eine andere Sprache. Manch Geistlicher hat in der Vergangenheit aufgrund dessen seine Versetzung in eine andere Kirche beantragt.«
    »Geister?«, fragte ein offensichtlich gelangweilter Junge, ohne die Augen von seinem Handy zu nehmen. Emily war aufgestanden und lehnte sich locker an den Zaun, als würde sie auf jemanden warten.
    »Wer weiß«, raunte ihm die Reiseführerin verschwörerisch zu. »Fest steht, dass es auch unter Highgate jede Menge Gänge, Höhlen und Tunnel gibt, über die früher so manche Leiche auf den Friedhof geschmuggelt wurde. Sie müssen wissen, damals durfte man auf den meisten Friedhöfen nur als Mitglied der Church of England begraben werden. Und manchmal reichte nicht mal das. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren die Friedhöfe so hoffnungslos überfüllt, dass viele Hinterbliebene ihre Toten heimlich auf die Friedhöfe schafften, um sie der Gnade der Kirche zu übereignen. Auch hier wurden die verborgenen Untergrundwege genutzt, die Highgate mit dem riesigen Tunnelsystem unter der Stadt verbinden, das Straßenkindern, Obdachlosen und gesuchten Verbrechern bis in die viktorianische Zeit hinein Obdach und Versteck bot.«
    Emily lauschte gebannt. Sie erinnerte sich an das, was Elias über Willie und Rufus gesagt hatte. Niemand kennt sich in den Labyrinthen unter der Stadt besser aus als diese beiden.
    Hieß das etwa, dass Elias plante, sie tief in die Eingeweide dieser Stadt zu bringen? In diese stille Dunkelheit der Katakomben und toten Gedanken? Es schüttelte sie bei dieser Vorstellung.
    »Und nun zurück zum Bus«, verkündete die Stadtführerin mit nie versiegendem Optimismus. »Nächster Stopp: Highgate .«
    Nachdenklich ging Emily weiter. Jetzt, wo das Wiedersehen mit Elias unmittelbar bevorstand, wurde ihr mulmig. Die Gedanken, die sie den ganzen Tag erfolgreich verdrängt hatte, schoben sich in den Vordergrund – und wurden zwei Straßen weiter erfolgreich unter einer Flut von Eindrücken begraben. Die Camden High Street brummte. Wohin Emily auch blickte, sah sie kleine Läden, übersät mit allen erdenklichen Schuhen, Klamotten und Schmuck, schrill gestylte Leute und Straßenkünstler, die die Menge bespaßten. Obwohl hier ähnlich viel Betrieb herrschte wie in Londons Innenstadt, empfand sie diesen Trubel keineswegs als Belästigung. Fasziniert ließ sie sich durch diesen Mikrokosmos ungewohnter Farben, Musik und Gerüche treiben und bemerkte gar nicht, dass links und rechts von ihr zwei Gestalten neben ihr herschlenderten.
    »Wohin des Wegs, junges Fräulein?« Die Stimme ganz dicht an ihrem Ohr ließ sie zusammenzucken. Starke Hände packten sie an den Oberarmen. Dann schoben sich zwei Gesichter in ihr Sichtfeld, die ihr vertraut waren.
    »Dürften wir Sie begleiten?«, flötete Rufus in bester Kavaliersmanier. »Wir haben Sie schon

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