Herbstfeuer
ernsthaft zu.
Aus einer kleinen, emaillierten Schachtel auf dem Frisiertisch nahm Lillian eine Haarnadel und ging zur Tür. „Es ist schade, dass sie sich über Kleinigkeiten immer so aufregt, nicht wahr?“
„Wie damals, als wir das schmutzige Ferkel in Mrs. Astors Salon geschmuggelt haben.“
Lächelnd kniete Lillian vor der Tür nieder und schob die Haarnadel ins Schloss. „Weißt du, ich habe mich immer gefragt, warum Mutter es nicht zu würdigen wusste, dass wir das allein zu ihrer Verteidigung taten. Etwas musste schließlich unternommen werden, nachdem Mrs. Astor Mutter nicht zu ihrer Party einlud.“
„Vermutlich glaubt Mutter, dass es uns nicht gerade als zukünftige Partygäste empfiehlt, wenn wir jemandem Viehzeug ins Haus schicken.“
„Nun, ich denke, das war nicht so schlimm wie das damals, als wir in dem Laden in der Fifth Avenue die römische Kerze anzündeten.“
„Wir mussten das tun, nachdem der Händler so unverschämt gewesen war.“
Lillian zog die Nadel heraus, bog ein Ende zurück und steckte sie wieder ins Schloss. Mit zusammengekniffenen Augen schob sie die Nadel hin und her, bis das Schloss klickte und sie Daisy triumphierend zulächelte. „Ich glaube, so schnell war ich noch nie.“
Doch die jüngere Schwester erwiderte das Lächeln nicht. „Lillian, wenn du in diesem Jahr einen Ehemann findest – dann wird alles anders werden. Du wirst dich verändern. Dann wird es keine Abenteuer mehr geben, keinen Spaß, und ich werde allein sein.“
„Sei nicht dumm“, sagte Lillian und runzelte die Stirn. „Ich werde mich nicht verändern, und du wirst nicht allein bleiben.“
„Du wirst dich einem Gemahl gegenüber rechtfertigen müssen“, fuhr Daisy fort. „Und er wird nicht erlauben, dass du in irgendwelchen Unfug mit mir verwickelt wirst.“
„Nein, nein, nein …“ Lillian erhob sich und machte eine abwehrende Handbewegung. „So einen Gemahl werde ich nicht haben. Ich werde einen Mann heiraten, der sich entweder nicht darum kümmert oder nicht bemerkt, was ich tue, wenn ich nicht mit ihm zusammen bin. Einen Mann wie Vater.“
„Ein Mann wie Vater scheint Mutter nicht sehr glücklich gemacht zu haben“, sagte Daisy. „Ich frage mich, ob sie jemals verliebt gewesen sind.“
Lillian lehnte sich an die Tür und runzelte die Stirn, während sie über diese Frage nachdachte. Bisher hatte sie sich nie gefragt, ob ihre Eltern wohl eine Liebesehe geschlossen hatten. Aus irgendeinem Grund glaubte sie das nicht.
Beide schienen sich selbst völlig zu genügen. Soweit Lillian wusste, stritten sie selten, umarmten sich niemals und sprachen nur wenig miteinander. Und doch gab es keine offensichtliche Bitterkeit zwischen ihnen. Meistens verhielten sie sich gleichgültig gegeneinander, und keiner von ihnen schien nach Glück in der Ehe zu streben.
„Liebe gibt es nur in Romanen, Liebes“, sagte Lillian und versuchte ihr Möglichstes, um zynisch zu klingen. Sie öffnete die Tür, spähte links und rechts den Gang hinunter und warf dann einen Blick zurück zu Daisy. „Die Luft ist rein. Sollen wir den Dienstbotenausgang nehmen?“
„Ja, und danach lass uns zur Westseite des Hauses gehen und weiter in den Wald hinein.“
„Warum in den Wald?“
„Erinnerst du dich an den Gefallen, um den Annabelle mich gebeten hat?“
Einen Moment lang starrte Lillian sie verständnislos an, bevor sie ungeduldig die Augen zur Decke aufschlug. „Gütiger Himmel, Daisy, kannst du an nichts Wichtigeres denken als daran, eine so lächerliche Aufgabe zu erfüllen?“
Ihre jüngere Schwester betrachtete sie mit einem spitzbübischen Funkeln in den Augen. „Du willst nur nicht, weil es um Lord Westcliff geht.“
„Es geht um niemanden“, erwiderte Lillian. „Es ist dummes Zeug.“
Daisy setzte eine entschlossene Miene auf. „Ich werde den Wunschbrunnen von Stony Cross finden“, erklärte sie würdevoll, „und das tun, worum Annabelle mich gebeten hat. Wenn du willst, kannst du mich begleiten oder etwas anderes tun. Wie auch immer …“ Sie kniff ihre mandelförmigen Augen drohend zusammen. „Nach all der Zeit, die du mich hast warten lassen, während du staubige alte Parfümgeschäfte oder Apotheken durchkämmt hast, finde ich, dass du mir einen Gefallen schuldest…“
„Na schön“, murrte Lillian, „ich komme mit dir. Sonst wirst du ihn niemals finden und dich irgendwo im Wald verirren.“ Sie warf einen weiteren Blick in den Gang, um sicherzugehen, dass er noch immer
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