Herbstfeuer
ihrem Haar zu befestigen, fügte sie hinzu: „Er könnte dich überraschen und freundlich sein.“
Mit finsterer Miene schüttelte Lillian den Kopf. „Nein, wahrscheinlich würde er etwas sehr Verletzendes sagen und dabei so selbstzufrieden grinsen.“
„Ich glaube, du bist zu …“ Daisy hielt inne, um zu lauschen. „Ich habe ein Plätschern gehört. Der Wunschbrunnen muss ganz in der Nähe sein.“
„Na wunderbar“, erwiderte Lillian und lächelte widerstrebend, während sie ihrer jüngeren Schwester folgte. Neben dem Pfad erstreckte sich eine Wiese, die bedeckt war von blauen und roten Astern, Riedgras mit seinen flaschenbürstenartigen Blüten und den raschelnden Zweigen der Goldrute. Ein wenig weiter entfernt, nahe der Straße, wuchs in dichten Büschen gelber Blüten Johanniskraut, das aussah wie lauter Tropfen aus Sonnenlicht.
Lillian freute sich an den Düften, die in der Luft lagen, und verlangsamte ihren Schritt, um tief Atem zu holen.
Sobald sie sich dem Brunnen näherte, der nichts als ein Löch im Boden war, fühlte sich die Luft weich und mild an.
Zu Anfang des Sommers, als die Mauerblümchen den Wunschbrunnen zum ersten Mal besucht hatten, hatte jede von ihnen eine Haarnadel hineingeworfen, wie es in dieser Gegend Tradition war. Und Daisy hatte einen geheimnisvollen Wunsch für Annabelle geäußert, der sich später erfüllt hatte.
„Hier ist es“, sagte Daisy und holte ein nadelfeines Metallstück aus ihrer Tasche. Annabelle hatte es von Westcliffs Schulter genommen, als bei der Explosion Eisenteilchen durch die Luft geflogen waren. Selbst Lillian, von der kaum Mitleid für Lord Westcliff erwartet werden durfte, zuckte beim Anblick des scharfkantigen Splitters zusammen. „Annabelle bat mich, dies hier in den Brunnen zu werfen und für Lord Westcliff dasselbe zu wünschen wie für sie.“
„Wie lautete dieser Wunsch?“, wollte Lillian wissen. „Das hast du mir nie gesagt.“
Daisy lächelte. „Liegt das nicht auf der Hand, Liebes? Ich habe mir gewünscht, dass Annabelle jemanden heiratet, der sie wirklich liebt.“
„Oh.“ Lillian dachte an das, was sie über Annabeiles Ehe wusste, an die offensichtliche Zuneigung zwischen ihr und ihrem Gemahl, und vermutete, dass der Wunsch in Erfüllung gegangen sein musste. Sie erwiderte Daisys Lächeln und trat zurück, um die weiteren Vorgänge zu beobachten.
„Lillian“, protestierte die Schwester, „du musst dich hier zu mir stellen. Der Brunnengeist wird viel eher bereit sein, etwas zu tun, wenn wir beide uns auf den Wunsch konzentrieren.“
Lillian lachte leise. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass es einen Brunnengeist gibt, oder? Himmel, wie konntest du nur so abergläubisch werden?“
„Und das sagt ausgerechnet jemand, der gerade eine Flasche mit magischem Duft gekauft hat …“
„Ich habe das Parfüm nie für magisch gehalten. Mir hat nur der Geruch gefallen …“
„Lillian“, schalt Daisy scherzhaft, „was schadet es, sich diese Möglichkeit offenzuhalten? Ich weigere mich zu glauben, dass wir durchs Leben schreiten werden, ohne dass irgendetwas Zauberhaftes geschieht. Komm schon, wünsch etwas für Lord Westcliff. Das ist das Mindeste, was wir tun können, nachdem er Annabelle aus dem Feuer gerettet hat.“
„Na schön, ich stelle mich neben dich. Aber nur, damit du nicht hineinfällst!“ Sie trat näher und legte den Arm um die schmalen Schultern der Schwester, während sie in das trübe, leicht bewegte Wasser blickte.
Daisy kniff fest die Augen zusammen und umfasste das Metallstück. „Ich wünsche es mir ganz fest“, flüsterte sie.
„Du auch, Lillian?“
„Ja“, murmelte Lillian, obwohl sie eigentlich nicht hoffte, dass Lord Westcliff die wahre Liebe fand. Ihr Wunsch lautete eher, dass Lord Westcliff auf eine Frau treffen möge, die ihn in die Knie zwingen würde. Diese Vorstellung zauberte ein zufriedenes Lächeln auf ihr Gesicht, und sie lächelte noch, als Daisy das scharfkantige Metallstück in den Brunnen warf, wo es in den endlosen Tiefen versank.
Zufrieden rieb sich Daisy die Hände und wandte sich ab. „So, erledigt“, sagte sie strahlend. „Ich kann es kaum erwarten zu sehen, bei wem Westcliff landen wird.“
„Das arme Mädchen tut mir leid“, erwiderte Lillian. „Wer immer sie sein mag.“
Daisy deutete zurück. „Gehen wir wieder zum Haus?“
Rasch wandte sich das Gespräch strategischen Überlegungen zu, während sie einen Vorschlag besprachen, den Annabelle ihnen
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