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Herbstfeuer

Herbstfeuer

Titel: Herbstfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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wenig.
    „Warum flüstert ihr?“, fragte die Countess.
    Marcus beachtete sie nicht, während er seine Schwester hinausgeleitete und die Tür dann hinter ihr schloss. Als er sich zur Countess umdrehte, war sein Gesicht finster entschlossen. „Die Umstände von Livias Geburt sagen nichts aus über den Charakter meiner Schwester“, begann er dann. „Nur über Ihren. Es ist mir egal, dass Sie sich mit einem Lakaien herumtreiben oder sogar sein Kind gebären. Aber es ist mir nicht egal, wenn Sie Livia dafür büßen lassen. Ihr ganzes Leben lang hat sie unter Ihrem Fehltritt leiden müssen und genug dafür bezahlt.“
    „Ich werde mich für meine Bedürfnisse nicht entschuldigen“, fuhr die Countess ihn an. „Wegen der fehlenden Zuneigung Ihres Vaters musste ich mir mein Vergnügen da suchen, wo ich es fand.“
    „Und Sie lassen Livia die Strafe dafür tragen.“ Er verzog das Gesicht. „Obwohl ich sah, wie sie als Kind misshandelt und vernachlässigt wurde, konnte ich damals nichts dagegen tun – aber jetzt kann ich es. Sie werden dieses Thema ihr gegenüber nie wieder erwähnen. Niemals. Verstehen Sie mich?“
    Obwohl seine Stimme ruhig blieb, konnte ihr seine Wut nicht entgangen sein, denn sie widersprach nicht und stritt auch nicht. Sie schluckte nur und nickte dann.
    Eine ganze Minute verging, während sie beide ihre Gedanken ordneten. Die Countess ging zuerst in die Offensive.
    „Westcliff“, sagte sie. „Ist Ihnen der Gedanke gekommen, dass Ihr Vater das Bowman-Mädchen und alles, was sie repräsentiert, nur verachtet hätte?“
    Marcus sah sie an. „Nein“, sagte er dann langsam, „der Gedanke ist mir nicht gekommen.“ Er hatte so lange nicht mehr an seinen verstorbenen Vater gedacht, dass er sich die Frage nicht gestellt hatte, was dieser wohl von Lillian Bowman gehalten hätte. Es erstaunte ihn, dass seine Mutter davon ausging, es würde ihn interessieren.
    Die Countess ging davon aus, dass sie ihn zum Nachdenken gebracht hatte, und fuhr fort, ihn zu bedrängen. „Sie wollten ihm immer zu Gefallen sein“, sagte sie, „und das haben Sie oft getan, selbst wenn er es nur selten zur Kenntnis nahm. Vielleicht werden Sie mir nicht glauben, wenn ich Ihnen sage, dass Ihr Vater im Grunde nur Ihr Bestes wollte. Er wollte Sie zu dem Mann formen, der den Titel verdiente, einen mächtigen Mann, den niemand ausnutzen konnte. Ein Mann, wie er selbst einer war. Und zum größten Teil ist ihm das gelungen.“
    Ihre Worte sollten Marcus schmeicheln. Doch sie trafen ihn wie ein Faustschlag. „Nein, das tat er nicht“, sagte er heiser.
    „Sie wissen, welche Frau er sich als Mutter seiner Enkelkinder gewünscht hätte“, sprach die Countess weiter. „Das Bowman-Mädchen ist Ihrer nicht wert, Westcliff, weder Ihres Namens noch Ihres Blutes. Stellen Sie sich vor, die beiden würden einander begegnen – sie und Ihr Vater. Sie wissen, wie sehr er sie verachtet hätte.“
    Plötzlich stellte Marcus sich vor, wie Lillian seinem teuflischen Vater gegenübertrat, der jeden verschreckt und verängstigt hatte, der ihm je begegnet war. Er zweifelte nicht daran, dass Lillian auf den alten Earl mit ihrer üblichen Art reagiert hätte. Keinen Augenblick hätte sie sich vor ihm gefürchtet.
    Als er weiterhin schwieg, fuhr die Countess sanftmütiger fort: „Natürlich hat sie ihre Reize. Ich verstehe sehr gut, dass manche Niedriggestellte für uns attraktiv scheinen. Oft befriedigen sie unseren Wunsch nach etwas Exotischem. Und es überrascht nicht, dass Sie wie alle Männer Abwechslung bei Ihren Frauen suchen. Wenn Sie sie wollen, dann nehmen Sie sie sich. Die Lösung liegt doch auf der Hand: Nachdem Sie beide mit anderen verheiratet sind, können Sie eine Affäre haben, bis Sie ihrer überdrüssig sind. Unseresgleichen findet die Liebe immer außerhalb der Ehe – Sie werden sehen, es ist besser so.“
    Es war unnatürlich still im Zimmer, während Marcus von quälenden Erinnerungen heimgesucht wurde und das Echo von Stimmen hörte, die lange verstummt waren. Obwohl er die Rolle des Märtyrers verachtete und sich selber nie darin gesehen hatte, musste er sich doch eingestehen, dass die meiste Zeit seines Lebens seine eigenen Bedürfnisse unerfüllt geblieben waren, denn er hatte Verantwortung getragen. Jetzt hatte er endlich eine Frau gefunden, die die Freude und Herzlichkeit bot, die er so lange vermisst hatte – und verdammt, er hatte ein Recht, die Unterstützung seiner Familie und seiner Freunde zu verlangen,

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