Herbstfeuer
welche persönlichen Vorbehalte sie auch haben mochten. Er fühlte sich noch niedergeschlagener, als er sich an die ersten Jahre seines Lebens erinnerte: Sein Vater hatte jeden fortgeschickt, für den Marcus Zuneigung entwickelte. Damit er nicht schwächlich wurde. Damit er nicht von anderen als sich selbst abhing. Daraus war eine Isolation geworden, die Marcus’ gesamtes Leben beherrscht hatte. Bis jetzt. Aber nicht mehr länger.
Was den Vorschlag seiner Mutter anging, mit Lillian eine Affäre zu beginnen, sobald sie beide mit anderen Partnern verheiratet waren, so traf ihn dieser Gedanke bis tief ins Mark. Das wäre eine Persiflage der ernsthaften Beziehung, die sie beide verdienten.
„Hören Sie mir gut zu“, sagte er, als er endlich wieder imstande war zu sprechen. „Ehe dieses Gespräch begann, war ich fest entschlossen, sie zu meiner Gemahlin zu machen. Doch falls es möglich gewesen wäre, mich in meinem Entschluss zu bestärken, so haben Sie es mit Ihren Worten erreicht. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass Lillian Bowman die einzige Frau auf der Welt ist, die ich jemals zu heiraten beabsichtige. Ihre Kinder werden meine Erben sein, oder die Linie wird mit mir aussterben. Von jetzt an wird ihrem Wohlergehen meine einzige Sorge gelten. Jedes Wort, jede Geste oder Handlung, die ihr Glück bedroht, wird die schrecklichsten Konsequenzen nach sich ziehen. Niemals werden Sie ihr Grund zu der Annahme geben, Sie könnten etwas anderes als Freude empfinden über unsere Heirat. Das erste Wort, mit dem mir das Gegenteil zu Ohren kommt, wird Ihnen eine sehr lange Reise von diesem Anwesen weg bescheren. Und fort aus England. Für immer.“
„Was Sie da sagen, kann nicht Ihr Ernst sein. Sie sind verärgert. Später, wenn Sie sich beruhigt haben, werden wir …“
„Ich bin nicht verärgert. Ich meine es todernst.“
„Sie haben den Verstand verloren!“
„Nein, Mylady. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich eine Chance auf Glück – und ich werde sie nicht verspielen.“
„Sie sind ein Narr!“, flüsterte die Countess, sichtlich zitternd vor Zorn.
„Was immer daraus wird – sie zu heiraten wird von allen meinen Taten am wenigsten die eines Narren sein“, erwiderte er und ging mit einer leichten Verbeugung davon.
21. KAPITEL
Später an jenem Morgen erhob sich Annabelle mit einer leise gemurmelten Entschuldigung vom Frühstückstisch.
„Ich fühle mich wieder ein wenig unwohl“, sagte sie. „Ich denke, ich sollte mich ein Weilchen zurückziehen. Zum Glück ist Mr. Hunt ausgeritten, und er wird nicht erfahren, dass ich ein Schläfchen mache.“
„Ich g-gehe mit dir auf dein Zimmer“, meinte Evie besorgt.
„O Evie, Liebes, es ist nicht nötig …“
„Es wird eine gute Ausrede sein, T-Tante Florence aus dem Weg zu gehen, die bestimmt nach mir sucht.“
„Nun, in diesem Fall danke ich dir.“ Erleichtert stützte sich Annabelle auf Evies Arm. Lillian und Daisy folgten ihnen.
„Ich glaube nicht, dass sie diese Neuigkeit lange vor Mr. Hunt geheim halten kann“, flüsterte Daisy.
„Nicht in diesem Stadium“, flüsterte Lillian zurück. „Ich bin sicher, dass er etwas ahnen muss, denn Annabelle ist gewöhnlich gesund wie ein Pferd.“
„Vielleicht. Wie auch immer, ich habe gehört, dass Männer manchmal derartigen Umständen gegenüber blind und taub sind …“
Als sie den Frühstücksraum verließen, sahen sie Lady Olivia über den Korridor gehen, ihr hübsches Gesicht wirkte besorgt. Es war ungewöhnlich, sie so ernst zu erleben, denn normalerweise war sie von ungewöhnlich heiterem Gemüt. Lillian fragte sich, was wohl geschehen sein mochte, dass sie so beunruhigt war.
In diesem Moment entdeckte auch Olivia die beiden Schwestern, und ihre Miene heiterte sich auf. Sie lächelte herzlich. „Guten Morgen.“
Obwohl Lady Olivia nur zwei oder drei Jahre älter war als Lillian, schien sie unendlich reifer zu sein, denn sie besaß den Blick einer Frau, die in der Vergangenheit großen Kummer erlebt hatte. Es war dieses Wissen um unbekannte Erfahrungen, die so weit außerhalb von Lillians eigenen lagen, das ihr in Lady Olivias Nähe immer ein unbehagliches Gefühl verursacht hatte. Und obgleich die Schwester des Earls eine charmante Gesprächspartnerin war, gewann man doch den Eindruck, dass es Fragen gab, die nicht gestellt werden sollten, und Themen, die nicht angesprochen werden durften.
„Ich wollte gerade in die Orangerie gehen“, sagte Lady Olivia.
„Dann wollen
Weitere Kostenlose Bücher