Herbstfeuer
verletzlich zu sein, der nicht gerade für seine Empfindsamkeit und Schwäche bekannt ist. Was das Temperament angeht, passen wir offensichtlich nicht gut zusammen.“
„Aber körperlich fühlst du dich zu ihm hingezogen?“, fragte Annabelle.
„Unglücklicherweise ja.“
„Warum ist das ein Unglück?“
„Weil es viel leichter wäre, einen Mann zu heiraten, für den man Freundschaft empfindet anstatt – anstatt …“
Die drei jungen Frauen lehnten sich aufmerksam vor. „Anstatt w-was?“, fragte Evie mit großen Augen.
„Anstatt glühende, alles verzehrende, ganz und gar nicht angemessene Leidenschaft.“
„Oje“, sagte Evie schwach und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, während Annabelle lächelte und Daisy sie mit Unverhohlener Neugier ansah.
„Und das für einen Mann, dessen Küsse bestenfalls annehmbar sind?“, fragte Annabelle.
Ein Lächeln umspielte Lillians Lippen, als sie in die dampfende Tasse blickte. „Wer hätte ahnen können, dass so ein steifer und zugeknöpfter Mensch im Schlafzimmer so ganz anders sein könnte?“
„Bei dir kann er vermutlich nicht anders“, mutmaßte Annabelle.
Lillian blickte auf. „Warum sagst du das?“, fragte sie aufmerksam und fürchtete einen Moment lang, Annabelle wollte auf die Wirkung ihres Parfüms anspielen.
„Sobald du den Raum betrittst, wird der Earl sehr viel lebhafter. Niemand vermag zu übersehen, wie sehr du ihn faszinierst. Es ist kaum möglich, sich mit ihm zu unterhalten, weil er ständig versucht zu hören, was du sagst, und dich mit seinen Blicken verfolgt.“
„Tatsächlich?“ Die Information freute Lillian, obwohl sie versuchte, gleichmütig zu wirken. „Warum hast du das nicht früher schon erzählt?“
„Ich wollte mich nicht einmischen, weil es so aussah, als würdest du den Aufmerksamkeiten St. Vincents den Vorzug geben.“
Lillian verzog das Gesicht und stützte die Stirn in die Hand. Sie erzählte ihnen von der peinlichen Szene zwischen ihr, Marcus und St. Vincent am Morgen, worauf die anderen voller Mitgefühl reagierten und ihr Unbehagen teilten.
„Das Einzige, was mich daran hindert, Mitleid für Lord St. Vincent zu empfinden“, sagte Annabelle, „ist die Gewissheit, dass er in der Vergangenheit viele Herzen gebrochen und viele Tränen verursacht hat – und daher ist es nur gerecht, dass er einmal erlebt, wie es ist, wenn man abgewiesen wird.“
„Trotzdem habe ich ein Gefühl, als hätte ich ihn getäuscht“, sagte Lillian schuldbewusst. „Und er hat sich so liebenswürdig verhalten. Kein böses Wort kam von ihm. Ich kann nicht anders, ich mag ihn dafür.“
„Sei v-vorsichtig“, mahnte Evie leise. „Nach allem, was wir von Lord St. Vincent gehört haben, passt es nicht zu ihm, so schnell nachzugeben. Du musst versprechen, nicht allein mit ihm irgendwohin zu gehen, wenn er sich dir wieder nähert.“
Lächelnd sah Lillian die besorgte Freundin an. „Evie, du hörst dich so zynisch an. Na schön, ich verspreche es.
Aber es besteht kein Grund zur Sorge. Ich glaube nicht, dass Lord St. Vincent so dumm ist, sich einen so mächtigen Mann wie den Earl zum Feind zu machen.“ Um das Thema zu wechseln, wandte sie sich an Annabelle.
„Jetzt habe ich meine Neuigkeiten berichtet, und nun bist du an der Reihe. Worum geht es?“
Mit ihren fröhlichen Augen und dem Sonnenlicht, das Reflexe in ihr schimmerndes Haar zauberte, wirkte Annabelle wie ein zwölfjähriges Mädchen. Sie sah sich um, damit sie sichergehen konnte, dass niemand mithörte.
„Ich bin beinahe sicher, dass ich in Erwartung bin“, flüsterte sie. „Seit Kurzem leide ich unter Übelkeit und Schlaflosigkeit, und das ist schon der zweite Monat, in dem ich mein Unwohlsein nicht hatte.“
Sie alle schrien vor Entzücken auf, und Daisy streckte den Arm aus und drückte Annabelles Hand. „Liebes, das sind wundervolle Neuigkeiten! Weiß Mr. Hunt davon?“
Annabelle lächelte bedauernd. „Noch nicht. Ich wollte absolut sicher sein, ehe ich es ihm sage. Und so lange wie möglich wollte ich es vor ihm geheim halten.“
„Warum?“, fragte Lillian.
„Wenn er es erst einmal weiß, wird er mich übermäßig beschützen wollen, sodass ich allein nirgends mehr hingehen dürfte.“
Da sie alle wussten, wie sehr Simon Hunt sich um Annabelle kümmerte, nickten die Mauerblümchen stumm. Wenn Hunt von dem Baby erfuhr, würde er seine schwangere Frau bewachen wie ein Falke.
„So ein Triumph“, rief Daisy, so leise es nur möglich war.
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