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Herbstfeuer

Herbstfeuer

Titel: Herbstfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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bestimmend ist, dann versucht er nur zu tun, was er für das Beste hält.“
    „Vermutlich …“, meinte Lady Olivia zweifelnd, und das ermutigte Lillian zum Weitersprechen.
    „Außerdem muss eine Frau, die Lord Westcliff heiratet, niemals befürchten, dass er fremdgeht. Er wäre ihr treu. Er würde ihr ein Gefühl der Sicherheit geben, denn er würde immer für sie sorgen und im Notfall nicht den Kopf verlieren.
    „Aber er ist so steif“, beharrte Lady Olivia.
    „Eigentlich nicht …“
    „Und kalt“, bemerkte Lady Olivia mit einem bedauernden Kopfschütteln.
    „O nein“, widersprach Lillian, „nicht im Geringsten! Er ist der …“ Abrupt hielt sie inne und wurde rot, als sie Lady Olivias zufriedenes Lächeln bemerkte. Soeben war sie blindlings in die Falle getappt.
    „Miss Bowman“, sagte Lady Olivia, „es hört sich an, als seien Sie verliebt. Und ich hoffe sehr, dass Sie das sind.
    Weil Marcus so lange gebraucht hat, Sie zu finden – und es würde mir um seinetwillen das Herz brechen, wenn seine Liebe unerwidert bliebe.“
    Lillian zuckte zusammen. „Er liebt mich nicht“, erwiderte sie mit bebender Stimme. „Zumindest hat er nichts dergleichen gesagt.“
    „Das überrascht mich nicht. Mein Bruder neigt dazu, Gefühlen eher mit Taten Ausdruck zu verleihen als mit Worten. Sie müssen Geduld mit ihm haben.“
    „Das stelle ich gerade fest“, erwiderte Lillian, und die andere Frau lachte.
    „Ich habe ihn nie so gut gekannt, wie meine ältere Schwester Aline ihn kennt. Sie stehen einander im Alter näher, und ehe sie mit ihrem Gemahl nach Amerika ging, war sie seine Vertraute und beste Freundin. Aline hat mir oft einiges über Marcus erklärt, wenn ich ihn am liebsten umgebracht hätte.“
    Während Lillian der leisen, melodischen Stimme zuhörte, war sie ganz still. Bis zu diesem Augenblick war ihr nicht bewusst gewesen, wie sehr sie sich danach sehnte, Marcus zu verstehen. Früher hatte sie nie begriffen, warum Liebende kleine Dinge sammelten: Briefe, Haarlocken, einen verlorenen Handschuh, einen Ring. Aber jetzt wusste sie, wie es war, wenn man von jemandem besessen war. Sie war erfüllt von der Sehnsucht, alles zu erfahren von einem Mann, der so geradlinig zu sein schien und ihr doch praktisch imbekannt war.
    Lady Olivia legte einen Arm über die Sofalehne und betrachtete gedankenverloren das Blumengesteck neben ihnen.
    „Manche Dinge aus seiner Vergangenheit wird Marcus nie jemandem erzählen, denn sich zu beklagen erscheint ihm unmännlich, und er würde lieber einen langsamen Tod sterben, als Mitleid zu erregen. Und sollte er jemals herausfinden, dass ich Ihnen etwas erzählt habe, dann wird es mich den Kopf kosten.“
    „Geheimnisse kann ich gut bewahren“, versicherte Lillian.
    Lady Olivia schenkte ihr ein rasches Lächeln, bevor sie angelegentlich die Spitze ihres Schuhs betrachtete, der unter dem gerüschten Kleidersaum hervorsah. „Dann passen Sie gut zu den Marsdens. Wir haben viele Geheimnisse. Und keiner von uns denkt gern an die Vergangenheit. Marcus, Aline und ich haben auf unterschiedliche Weise unter unseren Eltern gelitten, von denen meiner Meinung nach keiner hätte Kinder haben sollen. Meine Mutter hat sich nie für jemanden außer sich selbst interessiert, und mein Vater brachte für seine Töchter keinerlei Gefühl auf.“
    „Das tut mir leid“, sagte Lillian ernst.
    „Nein, seine Gleichgültigkeit war ein Segen, und wir wussten das. Für Marcus, das Opfer der unseligen Vorstellungen meines Vaters, wie man den Westcliff-Erben erziehen soll, war es weitaus schlimmer.“ Obwohl Lady Olivias Stimme ruhig und gleichmütig klang, fühlte Lillian, wie sie fröstelte, und sie rieb sich über die Ärmel, um eine Gänsehaut zu vertreiben. „Mein Vater duldete von seinem Sohn nichts als Perfektion. Jeder Teil von Marcus’ Leben wurde lächerlich hohen Standards unterworfen, und falls es ihm einmal nicht gelang, dem zu entsprechen, wurde er schrecklich bestraft. Marcus ertrug Schläge, ohne eine einzige Träne und ohne Aufbegehren, denn wenn er das tat, wurde die Strafe verdoppelt. Und wenn er eine Schwäche entdeckte, war Vater gnadenlos.
    Einmal fragte ich Aline, warum Marcus keine Hunde mochte – sie erzählte mir, dass er als Kind Angst hatte vor ein paar Wolfshunden, die Vater als Haustiere hielt. Die Hunde spürten seine Angst und verhielten sich sehr aggressiv ihm gegenüber, bellten und knurrten, wann immer sie ihn sahen. Als Vater herausfand, wie sehr Marcus

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