Herbstfeuer
unterhaltsame und aufregende Geschichte zu berichten haben.“
„Hat es mit Lord Westcliff zu tun?“
„Indirekt.“ Lillians Stirnrunzeln verschwand, und plötzlich wirkte sie sehr glücklich. Glücklicher vielleicht, als Daisy sie je gesehen hatte. „O Daisy, ich fürchte, ich werde heute etwas schrecklich Dummes tun. Laut singen oder so etwas. Das darfst du auf keinen Fall zulassen.“
„Das werde ich nicht“, versprach Daisy und lächelte ihr zu. „Bist du verliebt?“
„Dieses Wort darf nicht erwähnt werden“, sagte Lillian rasch. „Selbst wenn ich es wäre – und ich gebe nichts zu –, würde ich es niemals als Erste sagen. Das ist eine Frage des Stolzes. Und es besteht die Möglichkeit, dass er es seinerseits nicht sagen würde, sondern nur mit einem höflichen ‚Danke‘ antworten würde. Worauf ich ihn dann umbringen müsste. Oder mich.“
„Ich hoffe, der Earl ist nicht so eigensinnig wie du“, bemerkte Daisy.
„Das ist er nicht“, versicherte Lillian ihr. „Obwohl er glaubt, es zu sein.“ Sie erinnerte sich an etwas und presste eine Hand an ihre Stirn. „O Daisy“, sagte sie und lächelte. „Ich werde eine schreckliche Countess sein.“
„So sollten wir es nicht nennen“, entgegnete Daisy diplomatisch. „Sagen wir, eine unkonventionelle Countess.“
„Ich kann als Countess so sein, wie ich will“, sagte Lillian, halb entzückt, halb erstaunt. „Das hat Westcliff gesagt.
Und mehr noch. Ich glaube, er meint es ernst.“
Nach einem leichten Frühstück, bestehend aus Tee und Toast, trat Lillian auf die hintere Terrasse hinaus. Sie stützte ihre Ellenbogen auf das Geländer und blickte hinunter auf die weitläufigen Gärten mit ihren sorgfältig angelegten Wegen, den breiten Rändern aus niedrigen Buchsbaumhecken und Rosen und den alten geschnittenen Eiben, die so viele versteckte Orte boten, die es zu erforschen galt. Ihr Lächeln verschwand, als ihr einfiel, dass in diesem Augenblick im Garten der Schmetterlinge die Countess auf sie wartete, nachdem sie das Hausmädchen nach ihr geschickt hatte, um sie rufen zu lassen.
Die Countess wünschte eine private Unterredung mit Lillian – und es war kein gutes Zeichen, dass sie sie so weit entfernt vom Haus treffen wollte. Da die Countess Schwierigkeiten beim Gehen hatte und entweder einen Stock benutzte oder sich sogar in einem Rollstuhl schieben ließ, war ein Gang zu dem versteckten Garten ein mühseliges Unterfangen. Einfacher und vernünftiger wäre es gewesen, wenn sie sie oben im Salon der Marsdens hätte treffen wollen. Aber vielleicht war das, was die Countess sagen wollte, so privat – oder so lautstark –, dass niemand zuhören sollte. Lillian wusste genau, warum die Countess sie gebeten hatte, niemandem von dem Treffen zu erzählen. Wenn Marcus es herausfand, würde er der Sache gründlich nachgehen – und das wollte keine der beiden Frauen. Außerdem hatte Lillian nicht die Absicht, sich hinter Marcus zu verstecken. Sie konnte der Countess auch allein gegenübertreten.
Natürlich rechnete sie mit einer Gardinenpredigt. Aus ihrer Bekanntschaft mit der Countess hatte sie gelernt, dass diese Frau eine spitze Zunge besaß und es ihr egal war, wie verletzend ihre Worte sein konnten. Aber das spielte keine Rolle. Jede Silbe, die die Countess äußerte, würde von Lillian abgleiten wie Regentropfen von einer Fensterscheibe, denn sie war sicher, dass nichts ihre Heirat mit Marcus verhindern konnte. Und die Countess würde erkennen müssen, dass sie am besten daran tat, ein gutes Verhältnis zu ihrer Schwiegertochter zu pflegen.
Andernfalls könnten sie einander das Leben außerordentlich schwer machen.
Mit einem finsteren Lächeln ging Lillian die Stufen zum Garten hinunter und trat in die kühle Morgenluft hinaus.
„Ich komme, du alte Hexe“, murmelte sie.
Die Tür zum geheimen Garten war nur angelehnt. Lillian straffte die Schultern, versuchte, eine ausdruckslose Miene aufzusetzen, und trat ein. Die Countess war allein, kein Dienstbote hielt sich in der Nähe auf. Sie saß auf der runden Gartenbank wie auf einem Thron, der juwelenbesetzte Spazierstock lehnte neben ihr. Erwartungsgemäß zeigte sie eine steinerne Miene, und Lillian war beinahe versucht zu lachen, so sehr erinnerte die Frau an einen winzigen Krieger, der nichts außer einem bedingungslosen Sieg akzeptieren würde.
„Guten Morgen“, sagte Lillian höflich und trat näher. „Welch reizenden Ort Sie für unser Treffen ausgesucht haben,
Weitere Kostenlose Bücher