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Herbstfeuer

Herbstfeuer

Titel: Herbstfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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eingetroffen sind, ist diese Drohung überflüssig.“
    „Dann werde ich raten. Hast du Miss Bowman mit jemandem in flagranti erwischt? Hat sie einem Gentleman erlaubt, sie zu küssen? Oder Schlimmeres?“
    Marcus lächelte ein wenig halbherzig. „Wohl kaum. Nach einem Blick auf sie würde jeder Mann mit Verstand schreiend in die entgegengesetzte Richtung davonlaufen.“
    Livia gewann den Eindruck, dass ihr Bruder ein wenig zu harsch urteilte, und runzelte die Stirn. „Sie ist sehr hübsch, Marcus.“
    „Eine schöne Fassade genügt nicht, um für die Mängel ihres Charakters zu entschädigen.“
    „Und die wären?“
    Marcus räusperte sich, als wären Miss Bowmans Fehler zu offensichtlich, um sie noch aufzählen zu müssen. „Sie manipuliert Menschen.“
    „Genau wie du, mein Lieber“, erklärte Livia.
    Er beachtete ihre Bemerkung nicht. „Sie ist sehr bestimmend.“
    „Genau wie du.“
    „Sie ist selbstherrlich.“
    „Das bist du auch“, erwiderte Livia.
    Marcus warf ihr einen finsteren Blick zu. „Ich dachte, wir sprechen über Miss Bowmans Fehler und nicht über meine.“
    „Aber ihr scheint so vieles gemeinsam zu haben“, widersprach Livia beinahe zu unschuldsvoll und sah zu, wie er die Feder niederlegte, um sie dann mit den anderen Gegenständen auf dem Tisch in einer Reihe anzuordnen. „In Anbetracht ihres unangemessenen Verhaltens – willst du damit sagen, du hättest sie nicht in einer kompromittierenden Situation angetroffen?“
    „So etwas habe ich nie behauptet. Ich sagte nur, dass sie nicht mit einem Gentleman zusammen war.“
    „Marcus, ich habe keine Zeit für derlei Dinge“, erklärte Livia ungeduldig. „Ich muss die Bowmans begrüßen – genau wie du –, aber ich verlange, dass du mir sagst, was sie Skandalöses getan hat, ehe wir dieses Zimmer verlassen.“
    „Es ist zu lächerlich.“
    „Ist sie im Herrensitz geritten? Hat sie eine Zigarre geraucht? Schwamm sie nackt im See?“
    „Nicht ganz.“ Nachdenklich nahm Marcus ein Stereoskop in die Hand, das an einer Ecke des Schreibtisches lag – ein Geburtstagsgeschenk seiner Schwester Aline, die mit ihrem Gemahl nun in New York lebte. Das Stereoskop war eine brandneue Erfindung, eine Anfertigung aus Ahornholz und Glas. Wenn man eine Stereokarte – eine doppelte Fotografie – hinter die Linse schob, erschien das Bild dreidimensional. Es war erstaunlich, wie viel Tiefe das Foto erlangte und wie viele Details es erkennen ließ. Die Zweige eines Baumes schienen den Betrachter an der Nase zu kratzen, und eine Schlucht klaffte so deutlich vor den Augen, als würde man jeden Moment in den Tod stürzen. Marcus hob das Stereoskop vor sein Gesicht und widmete sich konzentriert dem Anblick des Kolosseums in Rom.
    Gerade als Livia kurz davor war, vor Ungeduld zu platzen, sagte er: „Ich sah Miss Bowman in ihren Unterkleidern Baseball spielen.“
    Livia starrte ihn an. „Baseball? Du meinst dieses Spiel mit dem Lederball und dem abgeflachten Schläger?“
    Marcus verzog das Gesicht. „Es geschah bei ihrem letzten Besuch hier. Miss Bowman und ihre Schwester tobten mit ihren Freundinnen auf einer Wiese unseres Anwesens herum, als Simon Hunt und ich zufällig vorbeiritten. Alle vier Mädchen trugen nur ihre Unterkleidung – sie erklärten, es wäre zu schwierig, mit den weiten Röcken zu spielen. Ich vermute, dass sie jede Ausrede benutzt hätten, um halb nackt herumlaufen zu können. Die Bowman-Schwestern genießen schamlos das Leben.“
    Livia presste eine Hand vor den Mund in dem wenig erfolgreichen Versuch, ein Lachen zu unterdrücken. „Ich kann einfach nicht fassen, dass du bisher nichts davon erwähnt hast.“
    „Ich wünschte, ich könnte es vergessen“, erwiderte Marcus finster. „Gott allein weiß, wie ich Thomas Bowman in die Augen schauen soll, solange die Erinnerung an seine halb bekleidete Tochter noch frisch meinem Gedächtnis eingeprägt ist.“
    Amüsiert betrachtete Livia das scharfe Profil ihres Bruders. Es war ihr nicht entgangen, dass Marcus „Tochter“
    gesagt hatte und nicht „Töchter“ – was deutlich zeigte, dass er die jüngere kaum bemerkt hatte. Er hatte nur Augen für Lillian gehabt.
    So wie sie Marcus kannte, hätte sie eigentlich erwartet, dass der Zwischenfall ihn erheiterte. Obwohl ihr Bruder sehr klare Moralvorstellungen hatte, war er keineswegs prüde, und er besaß durchaus Humor. Zwar hatte er nie eine Mätresse gehabt, aber dennoch waren Livia Gerüchte über einige diskrete

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