Herbstfrost
Rottensteins Tod und der wilden
Verfolgungsjagd, die tags zuvor im Raum Salzburg stattgefunden hatte. Die
länderübergreifende Verhaftungswelle schien erstaunlicherweise noch nicht als
solche wahrgenommen worden zu sein. Dank der Diskretion der Eingeweihten wurden
die Verhaftungen bisher nur sporadisch mit den Sökos in Verbindung gebracht.
Die Fragen nach Rottensteins Tod versuchte Jacobi zunächst mit dem Hinweis
zu unterlaufen, es sei noch nicht geklärt, ob es sich um Suizid oder Mord
handelte. Doch damit gaben sich die Journalisten natürlich nicht zufrieden.
Von allen Seiten in die Zange genommen kam der Beamte ganz schön ins
Schwitzen, ließ sich aber nicht aus der Reserve locken. Je hartnäckiger
nachgefragt wurde, umso beiläufiger blieb er. Man stünde erst am Anfang der
Ermittlungen, und als Behördenvertreter dürfe er sich an Spekulationen nicht
beteiligen.
Die häufig gestellte Frage nach den Hintermännern der Sökos parierte
er mit entnervend unverbindlichen Floskeln: »Sie wissen, dass ich keine Namen
von mutmaßlichen Verdächtigen nennen darf. Nicht in diesem frühen Stadium der
Ermittlungen. Ich empfehle Ihnen die Doku ›Seniorenkiller‹ Ihres Kollegen Kurt
Schremmer und das anschließende Liveinterview, beides wird morgen Abend
ausgestrahlt. Sie werden all jene Infos erhalten, die preiszugeben mir das
Gesetz verbietet.«
Aber so leicht machte es ihm die Meute nicht. Eine blutjunge
einheimische Reporterin von der »Neuen« stellte die Frage, vor der ihm schon
seit Tagen graute: »Herr Hauptmann, wie kann ein so unaussprechlicher Horror
eigentlich in einer mitteleuropäischen Demokratie passieren? Wie kann so etwas
jahrelang über die Bühne gehen, ohne dass die Exekutive auch nur das Geringste
mitbekommt?«
»Nach unserm bisherigen Erkenntnisstand reden wir von etwa zwölf bis
achtzehn Monaten«, präzisierte Jacobi mit treuherzigem Augenaufschlag. Außer
den alten Hasen, die ihn kannten, wäre niemand auf den Gedanken gekommen, dass
dieser Mann log. »Und vergessen Sie bitte nicht: Die Sökos haben im Schutz
vollkommener Anonymität agiert. Keine Beziehung zu den Opfern, kein
ersichtliches Motiv, kein Täterprofil. Die meisten ihrer Meuchelmorde wurden
deshalb auch nicht als solche erkannt. Und bei den wenigen, die auffielen, ging
man von individuellen Taten und Tätern aus. Kein rational denkender Mensch
konnte mit dem Tatbestand eines organisierten Massenmords rechnen.«
Ihm war bewusst, dass er wie Schremmer bei ihrem ersten Treffen
argumentierte, und er war nicht übermäßig stolz auf sich.
»Erst der Fall Cermak, der uns zum ersten Mal ein richtungweisendes
Muster bot, machte uns hellhörig. Der Fall Feldbach bestätigte dann unsre
Vermutung. Frau Sarah Feldbach konnte den Sökos vor einer Woche nur durch eine
glückliche Fügung entkommen. Ihre Bestimmung als EBI ,
als etatbelastendes Individuum, wäre gewesen, in einem Gasteiner Bergsee
ersäuft zu werden. Frau Feldbachs Kontakte ermöglichten uns in weiterer Folge
die Zusammenarbeit mit Kurt Schremmer. Eine Zusammenarbeit, die nie
friktionsfrei war, aber wir erfuhren von ihm Namen. Dass seine Recherchen
letztlich zur Zerschlagung der Sökos führten, soll hier nicht verschwiegen
werden. Auch nicht, dass Schremmer den Sökos schon auf der Spur war, als wir
noch nicht die geringste Ahnung hatten.«
»Treiben Sie Ihre Auskunftsfreudigkeit noch auf die Spitze,
Hauptmann Jacobi«, forderte ein deutscher Journalist ironisch, »und verraten
Sie uns die tatsächlichen Motive der Sökos, wenn Sie schon keine Namen nennen
wollen!«
Jacobi wechselte einen Blick mit Kandutsch und Rothmayer. Beide
nickten.
»Vorige Woche haben wir ein Dossier von Schremmer erhalten. Ein
Dossier, das keinerlei Beweiskraft hat, wohlgemerkt. Darin werden Todes- und
Abgängigkeitsfälle angeführt, von denen auffällig viele spezifische
Gemeinsamkeiten aufweisen und die er nachrecherchiert hat. Wir haben alle
greifbaren Daten der betreffenden Personen in Rekordzeit in einem
Rasterprogramm erfasst. Unsre anfängliche Vermutung, es könnte sich bei den
Sökos um eine bizarre politische Sekte handeln, erwies sich nun als nur mehr
bedingt zutreffend. Wie im Feldbach-Protokoll nachzulesen ist, glaubten die Gamma-Kader
der Sökos, einer radikalen Idee zu dienen. Aber die eigentliche Zielsetzung ist
geradezu erschütternd trivial: Es sieht so aus, als habe ein
Versicherungsmakler versucht, seiner Gesellschaft durch die Ermordung von
Kunden Geld zu ersparen. Die
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