Herbstfrost
Maybaum Schremmer im Club eingeführt, begann Gudrun sich ihm anzudienen.
Sie stieß ihn förmlich mit der Nase auf Sorges PC – nur um mir eins auszuwischen.«
»Wie können Sie das wissen?«
»Sie rief mich doch dauernd an. Erzählte mir, wie und wo sie es mit
dem coolen Kurt triebe und dass sie ihm gesteckt habe, was mich im Hause Sorge
wirklich interessiert hätte. Mir blieb keine Wahl. Sie war eine wandelnde
Zeitbombe.«
»Und wer war die junge Frau, die Schremmer den Schließfachschlüssel
abgeluchst hat?«
Jutta Dietrich stand auf und räumte das Kaffeegeschirr ab.
»Was machst du?«, fragte Piritz misstrauisch.
Verwundert hob sie die Brauen. »Na, ich muss doch abwaschen. Oder
sollen die Bullen seine Fingerabdrücke an der Tasse finden?« Sie deutete mit
ihrem Kinn verächtlich in Richtung Jacobi und verschwand in die Küche.
Für einen Moment zielte die Steyr Mannlicher direkt auf ihren
Rücken, und Jacobi hätte beinahe etwas sehr Unsinniges getan. Aber dann
schwenkte Piritz’ Arm zurück, und die Waffe zeigte wieder auf seine Brust.
Vermutlich ist ihm eingefallen, dass er sie besser mit meiner Glock
erschießen sollte, dachte Jacobi, und sein Magen krampfte sich zusammen. War er jetzt an der Reihe?
»Was hast du eben gesagt?«, fragte Piritz, nun wieder ganz
entspannt.
»Ich habe gefragt, wer die junge Frau war, die Schremmer auf der
Jubiläumsfeier den Schließfachschlüssel abgenommen hat«, wiederholte Jacobi
eilig.
Nach Juttas Blick auf die Lampe hatte er das rechte Bein unter dem
Tisch allmählich in Sprungposition gebracht. Es war lebenswichtig, beim Start
nicht mit den glatten Mokassinsohlen auszurutschen. Bei einem Seitenblick hatte
er den Schlüssel im Türschloss der offen stehenden Küchentür gesehen – auf der
richtigen Seite!
»Eine gewisse Barbara Oberhauser«, antwortete Piritz. »Taschen- und
Einsteigdiebin, ehe die Sökos sie rekrutierten. Ein kleines Rädchen, aber
tüchtig. Mit schwarzer Perücke sieht sie Ruth Maybaum zum Verwechseln ähnlich.
Sie hat auch das Paket aus dem Schließfach geholt. Soweit ich informiert bin,
ist sie mittlerweile wohl verhaftet worden.«
»Und wer ist diese Beta-Frau der ersten Stunde? Nilson soll sie
angeworben haben. Sie taucht nicht auf der Diskette auf, die Sorge uns
zugespielt hat, aber Sie hatten ja Einblick in die Originaldatei.«
Piritz glaubte zu wissen, was Jacobi dachte. »Marlene, das musst du
dir wirklich geben: Er hält dich für eine Söko.«
»Der hat sie ja nicht mehr alle!«, rief Jutta Dietrich aus der
Küche. Neben dem Abwasch stand die kleine Kaffeemaschine. Sie war noch
eingeschaltet.
»Wie du hörst, liegst du mit deiner Vermutung ziemlich daneben«,
sekundierte Piritz erheitert. »Es ist Carina Talbusch, die Geschäftsführerin
des ›Paris-Lodron-Clubs‹. Sie dürfte Sorges rechte Hand gewesen sein. Hat aber
zu Beginn ihres Engagements auch was mit Nilson gehabt, das weiß ich von Heidi …«
Plötzlich schnalzte es, und sie saßen im Dunkeln. Einen
Sekundenbruchteil später drückte Piritz ab. Jacobi spürte, wie die Kugel das
linke Achselpolster seiner Lederjacke zerfetzte.
***
Kein Spurtweltmeister startet so schnell wie eine Pistolenkugel,
doch der Hauptmann war auf die Überraschung gefasst gewesen. Reflexartig hatte
er sich zur Seite geduckt und sprang nun zur Küche hinüber. Piritz feuerte
weiterhin in Richtung Stubentür in der Annahme, sein Opfer würde den direkten
Weg nach draußen wählen.
Der Sturz auf den gefliesten Küchenboden war hart. Stöhnend rollte
sich Jacobi zur Seite, während hinter ihm die Tür zuknallte und ein Schlüssel
im Schloss knirschte. Schon pfiffen die Magnumgeschosse durch das weiche
Zirbenholz.
Aber was war mit Jutta? Hatte Piritz sie getroffen, als sie so
tollkühn die Tür zugezogen und abgeschlossen hatte?
Da spürte er ihre Hand an der Schulter und gleich danach ihren Atem
am Ohr. »Komm mit! Die Küche hat noch einen anderen Ausgang.«
Im Zimmer nebenan wechselte Piritz das Magazin.
»Danke«, flüsterte Jacobi ebenso leise zurück. »Gibt es hier eine
Taschenlampe?«
Er hörte das Rollen einer Schublade, und das Licht einer Stablampe
blitzte auf.
»Gott sei Dank!«
Plötzlich ertönte ein dumpfer krachender Laut. Piritz hatte seine
eins zweiundneunzig mit aller Kraft gegen die Küchentür geworfen. Zirbenholz
ist nicht besonders hart, doch um eine außen angeschlagene Tür aus Massivholz
zu zertrümmern, braucht es trotzdem mehr als breite Schultern. Zum
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