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Herbstfrost

Herbstfrost

Titel: Herbstfrost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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hinunter.
    Nackte Füße zermalmen keine Steinchen oder Betonbrösel, schon gar
nicht auf Alugittertreppen. Trotzdem war dieses ganz typische Knacken zu hören
gewesen. Jacobi erwischte Jutta gerade noch unter den Achseln und lupfte ihre
fünfundfünfzig Kilo mit einem Ruck nach oben. Die Schüsse hallten wie
Donnerschläge durchs Gewölbe, Querschläger zirpten vom Treppengeländer davon.
Keine Sekunde zu früh knallte die Falltür wieder zu. Magnumpatronen fraßen sich
ins Holz – zum Glück in sehr flachem Winkel. Der Schütze musste auf der anderen
Kellertreppe stehen.
    »Schnell, den Schlachtertisch über die Tür!«, schrie Jacobi. Von
Todesangst beflügelt rückten sie das zentnerschwere Möbel über die Falltür und
hockten sich drauf. Wieder im letzten Augenblick. Von unten stemmte sich Piritz
wie ein Stier dagegen. Der Tisch hob sich tatsächlich einen Zentimeter,
plumpste dann aber wieder in seine ursprüngliche Position zurück.
    »Nichts wie raus«, flüsterte Jacobi. »Wir haben nur diese eine
Chance. Bis er wieder oben und ums Haus gelaufen ist, haben wir ein gutes Stück
zwischen uns und das Haus gebracht.« Er lief zur Eisentür und sperrte sie auf.
    »Barfuß nach draußen?«, rief Jutta entsetzt.
    »Erfrieren ist immer noch besser, als erschossen zu werden«, sagte
Jacobi und riss die Widerstrebende mit sich. »Taschenlampe aus«, zischte er. Er
nahm sie ihr ab, dann stolperten sie in die totale Finsternis und das
Schneetreiben.
    Der Wind biss fürchterlich. Bei jedem Schritt sanken sie fast bis zu
den Knien ein, doch nach ein paar Sekunden spürten sie die Eiseskälte an den
Füßen schon gar nicht mehr.
    Jacobi sandte ein Stoßgebet zum Himmel, dass sie nicht im Kreis
liefen. Das Plateau war groß und wies nur eine sanfte Neigung auf. Am Weiher,
der rechts vom Haus lag, stand auch sein Quattro. Sie hingegen waren nach links
gelaufen, wo der Wald näher ans Haus heranreichte und der Weg zum E-Werk
hinüberführte. – Jedenfalls hatte Jacobi das vorgehabt. Jetzt hatte er keine
Ahnung mehr, wo sie sich befanden.
    Hilfe kam – wenn auch ungewollt – von Piritz. Sie hatten schon
etliche Meter zurückgelegt, als das Licht im Haus wieder anging. Auch Jacobi
ließ die Taschenlampe kurz aufblitzen. Zum Glück, sonst wären sie gegen den
nächsten Baum gerannt.
    »Warum tust du das?«, fragte Jutta wütend. »Jetzt weiß er, wo wir
sind.«
    »Weiß er nicht. Er war eben am Schaltkasten und hat den Kurzschluss
behoben, also kann er nicht gleichzeitig am Küchenfenster nach uns Ausschau
gehalten haben.«
    Sie gingen hinter ein paar dicht zusammenstehenden jungen Fichten in
Deckung. Nur einen Augenblick später durchdrangen die starken Scheinwerfer des
Mercedes G das Schneegestöber. Das Licht fiel zufällig in ihre Richtung,
nicht aber auf ihre Spuren, die bergwärts im Dunkeln lagen.
    Der Motor sprang an, der G setzte sich in Bewegung, und die
Scheinwerferkegel wanderten talwärts.
    »Das ist grauenhaft«, wimmerte Jutta. »Ich halte das keine Minute
länger aus!« Ihre Zähne schlugen wie Kastagnetten aufeinander. Jacobi gab ihr
seine Lederjacke. »Zieh sie an und setz dich auf meine Schultern!« Er hockte
sich auf den Boden.
    »Was?«
    »Du sollst dich auf meine Schultern setzen! Nur für ein paar
Minuten, damit ich deine Füße abreiben kann.«
    Jutta ließ sich das nicht zweimal sagen.
    ***
    Piritz verlor keine Zeit, er fuhr nach vorn, von wo er auch den
Quattro im Auge behalten konnte.
    »Du hast recht«, flüsterte Jacobi. »Wir halten das nicht lange
durch, und das weiß er auch. Eigentlich braucht er nur zu warten, bis unsre
Gliedmaßen so klamm geworden sind, dass wir uns nicht mehr von der Stelle
rühren können. Oder dass wir in den Quattro kriechen – oder uns ins Haus
zurückschleichen. Können wir nicht irgendwo beim E-Werk unterkriechen? Und
gibt’s dort ein Telefon?«
    »Zweimal nein. Da steht nur ein kleiner Geräteschuppen. Die Tür hat
ein Vorhängeschloss, und der dazugehörige Schlüssel hängt in der Küche.«
    »Scheiße! Also gut, hör zu!«
    Während er unentwegt ihre eisigen Füße knetete, erklärte er ihr
seinen Plan. Einen Plan, der weniger irgendeinem Kalkül als schierer
Verzweiflung entsprungen schien. Dann gab er ihr die Taschenlampe zurück und
ließ sie mit brennenden Füßen zurück in den Schnee gleiten.
    ***
    Mittlerweile hatte Piritz den G strategisch optimal
positioniert und den Motor wieder abgestellt. Die Scheinwerfer waren auf den
Audi gerichtet, aber er

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