Herbstfrost
Glück für
Jutta Dietrich und Jacobi.
Jutta öffnete die Tür am anderen Ende der Küche. Ein kalter Luftzug
wehte ihnen entgegen, es roch wie in einem Schlachthaus. Ein Kühlraum! Der
Taschenlampenstrahl fiel auf einen rot gefliesten Boden, weiß gekachelte Wände,
hakenbewehrte Stahlträger und stählerne Ablagen, auf denen ineinandergestapelte
Alubottiche standen. Der einbeinige Tranchiertisch in der Raummitte war
ebenfalls mit Stahlblech beschlagen. Die erhabenen Ränder der Tischplatte und
die Blutrinne in der Mitte vervollständigten das gespenstische Szenario.
Jacobi zog ein Tranchiermesser aus einem Steckset an der Wand. Gegen
eine Steyr Magnum eine dürftige Waffe, aber besser als nichts.
Draußen trat Piritz mit den Füßen gegen die Küchentür. Ein Paneel
splitterte, trotzdem würde es noch eine Weile dauern, bis er sich
durchgearbeitet hatte.
Jutta schloss die Kühlraumtür hinter sich und legte den
Verschlusshebel um. »Das ist die Waidkammer«, erklärte sie. »Hier wird das
Wildbret zerlegt, verpackt und gelagert.«
»Lässt sich die Tür jetzt nicht mehr von außen öffnen?«, fragte
Jacobi, während er sich im Geiste schon auf dem polierten Stahlblech liegen
sah.
»Nur mit dem dafür vorgesehenen Inbusschlüssel. Aber den wird Piritz
nicht so schnell finden.« Der Lichtkegel schwenkte zu einer anderen Tür mit
altertümlichem Schloss, die ins Freie führte. Der Schlüssel steckte. Jutta
überprüfte, ob abgeschlossen war. »Wir könnten jetzt hinausrennen, aber die
Frage ist, wie weit wir kämen.« Sie leuchtete ihre nackten Füße an und lüftete
dann den Schlafrock. Darunter war sie bis auf den Slip nackt. Wieder einmal.
Vermutlich hatte Piritz es als Verschwendung angesehen, sie umzubringen, ohne
sich ein letztes Mal mit ihr vergnügt zu haben. Immerhin hatte ihr dieser
Zeitvertreib das Leben gerettet. Bis jetzt.
»Aber es nützt ebenso wenig, uns hier zu verbarrikadieren. Leo ist
durchaus imstande, das Haus in Brand zu stecken. Dann braucht er draußen nur
auf uns zu warten.«
»Kennt er diese Tür?«, fragte Jacobi nervös. Er konnte nicht mehr
hören, was sich in der Küche tat. Der Kühlraum war gut isoliert.
»Ja, leider. Ich habe ihn heute durch die Tür hereingelassen. Er war
insgesamt dreimal hier oben. Zweimal hat er den Mercedes drüben beim E-Werk
geparkt, für den Fall, dass Kurt überraschend auftauchen sollte. Die paar Meter
durch den Wald ist er zu Fuß gegangen. Heute hat er die Vorsichtsmaßnahme wohl
für überflüssig gehalten. Hat den Wagen hinter dem Haus abgestellt und hier
geklopft.«
»Den Wagen hat er nur aus einem Grund
hinter dem Haus geparkt«, sagte Jacobi ernst. »Er wollte deine Leiche damit
unbemerkt abtransportieren. Doch als ich hier auftauchte, erübrigte sich der
Plan. Das neue Arrangement hätte vorgesehen, dass wir uns beide gegenseitig
erschossen haben.« Gern hätte er ihr auch zu ihrem Verhalten Schremmer
gegenüber einiges gesagt, aber diese Zeit hatten sie nicht. Und ob sie sie
jemals haben würden, entschieden die nächsten Minuten. »Gibt es Waffen im
Haus?«
»In der Diele ist ein Gewehrschrank mit zwei Bockbüchsflinten, einem
Stutzen und der dazugehörigen Munition. Ist aber abgeschlossen. Wir bräuchten
ein Kanteisen, um ihn aufzubrechen. Doch bis dahin schaffen wir es ohnehin
nicht.«
»Du hattest doch von Schremmer eine Pistole bekommen. Wo ist die?«
»Die hat Piritz. Die Steyr Mannlicher, mit der er eben geschossen
hat. Sie lag oben in meinem Schlafzimmer, wo wir waren, als wir das
Scheinwerferlicht deines Wagens sahen. Er hat von mir verlangt, dir seine
Anwesenheit zu verheimlichen.«
»Und du hast natürlich brav gefolgt«, sagte er bitter.
»Ich hatte ja keine Ahnung, dass –«
»Schon gut. Wohin geht’s da?«
Sie hatte eine schwere Falltür neben dem Tranchiertisch
hochgewuchtet. »In den Keller. Ich glaube nicht, dass Leo von dieser Falltür
weiß. So genau hat er sich hier nicht umgesehen. Eine zweite Kellertür ist in
der Diele.«
Sie legte sich auf den Boden und leuchtete jeden einsehbaren Winkel
des unterirdischen Gewölbes aus. »Scheint sauber zu sein«, flüsterte sie. »Ich
glaub, er ist nach draußen gerannt, um uns an der Hintertür abzufangen.« Sie
schien sich selbst Mut zuzusprechen. »An der Südflanke könnten wir durch ein
Fenster ins Freie gelangen. Außerdem lagern dort unten alte Klamotten und
Stiefel für mich.« Sie richtete den Lichtstrahl auf die steile Alugittertreppe
und stieg die Stufen
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