Herbstfrost
stellen.«
»Und Sie haben Schremmer angerufen, stimmt’s?«
»Ja. Nachdem Grabowsky mich zum Mitwisser seiner Taten gemacht
hatte, hab ich die Horrorgeschichte eine Nacht lang überschlafen und am
nächsten Tag Kurt angerufen. Ich kenn ihn schon lange. Wusste, Grabowskys
Geständnisse würden ihn interessieren. Außerdem brauchte ich selbst jemanden,
mit dem ich über das Gehörte reden konnte.«
»Und Schremmer riet Ihnen, nicht zur Polizei zu gehen. Vielmehr
sollten Sie ein Gedächtnisprotokoll über das Gespräch mit Grabowsky anlegen, da
er – welch ein Zufall! – eben jetzt an den Sökos dran sei. Sie täten ihm damit
einen Riesengefallen. War es so?«
»So ungefähr. Ich fühlte mich ohnehin an das Versprechen gebunden,
das ich Grabowsky gegeben hatte, und Schremmers Vorschlag deckte sich mit
meinem Gewissen.«
»Wieso? Ich dachte, es war keine Beichte?«
»In gewisser Weise doch. Oder glauben Sie etwa, die Form sei das
Wichtigste an einer Beichte?«
Behrens war natürlich nicht so naiv, wie er sich gab. Wenn es darauf
ankam, würde er sich den Behörden gegenüber auf das Beichtgeheimnis berufen,
dessen war sich Jacobi sicher. Den Vorwurf von andrer Seite, er hätte eben
dieses Beichtgeheimnis verletzt, konnte er wiederum mit dem Hinweis entkräften,
eine Beichte im sakramentalen Sinn hätte nicht stattgefunden.
»Beichte oder nicht, das ist hier die Frage«, sagte Jacobi. »Eine
etwas sophistische Einstellung, die Sie dazu hegen, finden Sie nicht? Irgendwo
in der Bibel heißt es doch: ›Eure Rede sei ja, ja – nein, nein! Alles darüber
ist vom Bösen.‹«
Behrens lächelte nachsichtig. »Aber Herr Hauptmann, führen wir hier
jetzt einen exegetischen Diskurs? Wollen Sie sich nicht lieber auf Ihre
Ermittlungen beschränken?«
»Vielen Dank, dass Sie mich daran erinnern. Also: Hatten Sie in den
letzten fünf Jahren jemals Grund zur Annahme, an Ihrer Klinik könnte das
Ableben von betagten oder besonders hinfälligen Patienten akzeleriert worden
sein?« Das Verstauen des Gedächtnisprotokolls in der Aktentasche schien Jacobis
ganze Aufmerksamkeit zu erfordern. Behrens lief vor Zorn puterrot an und rang
um Fassung.
»Sind Sie noch zu retten, Jacobi? An meiner Klinik? Natürlich bin
ich nicht so blauäugig, solche Perversionen menschlichen Geistes von vornherein
auszuschließen, und außerdem hat Kurt mich über die Strategien der Sökos
informiert und mich davor gewarnt, aber wenn dieses Werk des Satans irgendwo nicht Fuß fassen kann, dann hier !
Patienten und Personal finden bei uns optimale Bedingungen vor. Wir bezahlen
unsre Mitarbeiter gut und können sie uns daher aussuchen. Niemand ist
überlastet. Jeder hat auch für schwierige Patienten noch Reserven. Außerdem
stehe ich nicht an, besonders unausstehliche oder kapriziöse Gäste an die Luft
zu setzen. Egal, um wen es sich dabei handelt. Kurz und gut: Für meine
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lege ich die Hand ins Feuer.«
Jacobi winkte ab. »Beruhigen Sie sich, Pater! Ich habe ja nur
gefragt – nicht unterstellt. Dass an Ihrer Klinik ein gutes Arbeitsklima
herrscht, wusste ich bereits. Eines aber werden Sie kaum abstreiten können:
Etliche Patienten haben nicht nur bedeutende Legate für die Stiftung
ausgesetzt, sondern auch für den einen oder anderen Mitarbeiter.«
»Und was ist daran schlecht oder verwerflich?«
»Sieht das nicht ein wenig nach Erbschleicherei aus, wenn Ihre
begüterten Patienten manchen Ärzten oder Krankenschwestern generöse Geschenke
machen oder sie sogar im Testament berücksichtigen?«
»Spricht jetzt der Ermittler Jacobi oder ein Vertreter der
allgegenwärtigen Neidgenossenschaft? Bei uns wird nichts erschlichen. Wer bei
uns gibt, der tut das freiwillig. Sie haben ja keine Ahnung, wie wachsam die
Verwandten gerade solcher Patienten sind. Glauben Sie etwa im Ernst, ich würde
den Ruf der Klinik aufs Spiel setzen, wenn nicht alles seine Ordnung hätte?«
»Natürlich nicht. Aber es geht hier auch nicht darum, was Sie für gut
oder richtig halten. Prinzipiell ist in dieser Welt alles möglich, und genau
deshalb würde ich für niemanden die Hand ins Feuer legen. Nicht einmal für mich
selbst. Und Sie müssen zugeben, Ihre durchweg attraktiven Pflegerinnen säßen
direkt an der Quelle, sollten sie’s drauf anlegen.«
»Worauf anlegen?« Behrens’ Miene verfinsterte sich zusehends.
»Beispielsweise einem kranken alten Mann etwas mehr als die übliche
Fürsorge und Pflege angedeihen zu lassen, ihm damit
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