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Herbstfrost

Herbstfrost

Titel: Herbstfrost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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schaltete den
Taschenrekorder ein, während Hasenkopf und Jacobi vorn Platz nahmen.
    »Dann legen Sie mal los«, sagte Jacobi. »Erzählen Sie uns, was Sie
über Jutta Dietrich wissen.«
    »Sie ist eine Kanaille, wie sie im Buche steht«, platzte die junge
Frau heraus. »Was die sich in den letzten fünf Jahren zusammengebumst hat, geht
auf keine Kuhhaut! Jede Edelnutte muss da Komplexe kriegen. Ein Penthouse hier,
einen Bungalow dort, nicht zu vergessen das Porsche-Cabrio! Aber mit dem
herzkranken Bierbrauer hat sie dann endgültig den Vogel abgeschossen: eine
Villa mit Pool auf Madeira samt gut sortiertem Aktienpaket. Stellen Sie sich
das einmal vor!«
    »Ich versuche es gerade«, sagte Jacobi, ehrlich verblüfft. »Und das
alles hier am HKS ? An
einer Klinik von Gladius Dei? Das ist doch unmöglich! Behrens würde so etwas
nie dulden.«
    »Sie haben wirklich keine Ahnung. Natürlich würde Behrens so etwas
nie dulden, wenn er noch seine fünf Sinne beisammen hätte. Hat er aber nicht!
Ihn beherrscht nämlich nur mehr ein Sinn: der sexte !
Jutta hat auch ihn auf dem Gewissen. Er ist ihr mit Haut und Haaren verfallen.
Als ich vor einigen Monaten wegen Unstimmigkeiten auf der Station zu ihm
wollte, war Felicitas nicht im Vorzimmer, dafür stand die Tür zum Büro einen
Spaltbreit offen. Ziemlich eindeutige Laute machten mich neugierig, und ich
habe hineingelugt. Mit meinen eigenen Augen konnte ich sehen, wie er sie auf
dem Schreibtisch beackert hat. Die beiden hatten alles um sich herum vergessen
und brüllten vor Lust, das kann ich Ihnen sagen.«
    »Behrens ließ Jutta Dietrich also freie Hand, weil er ihr hörig war.
Ist das so zu verstehen?«
    »Er ist ihr noch immer hörig. So was verfliegt nicht wie Schnupfen.
Aber Sie haben’s erfasst: Ja, so lief das die letzten Jahre, und schließlich
musste Behrens auch bei Kolleginnen und Kollegen wegschauen, die Juttas Masche
nachzuahmen versuchten – mit freilich wesentlich geringerem Erfolg. Obwohl
seine Zukunft und der Ruf der Klinik auf dem Spiel standen, sah er für sich
keine Alternative. Jeder Versuch, diesen Sitten einen Riegel vorzuschieben,
hätte die Trennung von Jutta bedeutet.«
    Wesentlich gedämpfter fuhr Sandra Hasenkopf fort: »Jutta liebt
Männer und Frauen mit der Unbefangenheit großer Kurtisanen. Was sie tut, tut
sie gern, sie hat es nicht nötig, jemandem etwas vorzuspielen. Sie findet Geld
und Macht sexy und macht daraus kein Hehl. Um im Konzert der Upperclass
mitspielen zu können, bringt sie sich selbst ein. Eine bekannte Verlegerin zum
Beispiel kommt nur ihretwegen regelmäßig zu uns, unter dem Vorwand, sich
durchchecken zu lassen. Ähnliches gilt für andere Patienten. Ab und an wird
Jutta zu Jetset-Events eingeladen, auf denen sie freilich einen etwas
anrüchigen Ruf hat, wie sie mir einmal halb zornig, halb belustigt gestanden
hat. Sie meinte, Mädchen wie sie würden in diesen Kreisen so lange als Nutten
gelten, bis sie sich ihren Platz durch eine lukrative Heirat erbumst hätten.
Erst wenn diese Bedingung erfüllt sei, zerrisse sich niemand mehr das Maul. Ich
glaube, ihr Misstrauen der Hautevolee gegenüber ist einer der Gründe, warum sie
den Job am HKS noch immer nicht aufgegeben hat,
denn eigentlich hätte sie ihn nicht mehr nötig. Sie ist noch nicht mal dreißig,
hat schon ausgesorgt, vergisst aber nie die ärmlichen Verhältnisse, in denen
sie aufgewachsen ist. Ihre Ausbildung zur Diplomkrankenschwester musste sich
die Mutter buchstäblich vom Mund absparen.«
    »Na, dann sollte es Sie nicht wundern, wenn Frau Dietrich eine
Goldgrube wie das HKS nicht so ohne Weiteres
sausen lässt«, merkte Jacobi trocken an. »Lebt ihre Mutter eigentlich noch?«
    »Doch, doch. Die ist ja noch keine fünfzig, es geht ihr bestens. Ist
heute Hausmeisterin in einem bürgerlichen Wohnviertel, und es fehlt ihr an
nichts – dank Jutta.«
    »Sie stellen diese Frau etwas widersprüchlich dar, Sandra«, klinkte
sich Kotek ins Gespräch ein. »Erst nennen Sie Frau Dietrich eine Kanaille, dann
schwächen Sie diesen Eindruck ab und zeichnen sie als eine Art Aspasia für
späte Wünsche. Für mich bleibt nach ihrer Beschreibung nur mehr ein Mädchen
übrig, das zwar ehrgeizig und beseelt vom Drang nach oben ist, das aber auch
für seine Mutter sorgt. Gehören Sie vielleicht auch zu jenen, die Jutta
Dietrich lieben?«
    Sandra Hasenkopf rollten dicke Tränen über die Wangen. »Stimmt. Aber
um Menschen wie Jutta lieben zu können, ohne sich selbst zu

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