Herbstfrost
Priester war und einer ziemlich reaktionären Kongregation
angehörte.
Jacobi fiel als Erstes auf, dass die Ängstlichkeit, die Behrens beim
Telefongespräch mit Schremmer gezeigt hatte, nicht symptomatisch für ihn zu
sein schien. Aus Erfahrung wusste er auch, dass es Männer mit nichtssagenden
Gesichtszügen meist faustdick hinter den Ohren hatten.
Sie nahmen am Schreibtisch Platz. Behrens’ Stirn furchte sich
kummervoll.
»Eine schreckliche Sache, nicht wahr? Wenn nur die Hälfte von dem
stimmt, was Kurt recherchiert hat, dann gute Nacht, Image! Die Medien der
ganzen Welt werden sich auf unser Land stürzen wie die Aasgeier. Wieder
einmal!«
Jacobi nickte. »Ist leider anzunehmen. Apropos Recherchen: Schremmer
sagte, das Gedächtnisprotokoll zu Grabowskys Aussagen hätten Sie geschrieben.
Stimmt das, oder hab ich ihn falsch verstanden?«
»Wie? Ach so, ja, natürlich. Das hab ich geschrieben. Grabowsky,
tja, ein wirklich tragisches Schicksal, aber gewiss nicht unverdient!«
Jacobi nahm einige DIN-A 4-Bögen aus
seiner Aktentasche und gab sie Behrens zur Ansicht.
»Ja, das ist das Protokoll«, bestätigte Behrens, nachdem er die
ersten Zeilen gelesen hatte. »Vor drei Wochen stand er frühmorgens plötzlich
hier in der Tür. Das Vorzimmer war unbesetzt, Felicitas war irgendwo unterwegs.
Ich kannte den Mann nicht, aber sein Aussehen sprach Bände. Der Tod grinste ihm
bereits aus dem Gesicht.
›Pater, ich muss unbedingt mit jemandem sprechen‹, sagte er. ›Ich
habe ein furchtbares Verbrechen begangen. Mord, Pater! Mehrfachen Mord! Aber
jetzt hat es mich selbst erwischt. Ich weiß, ich hab nicht mehr lang zu leben.
In ein paar Wochen kann es schon vorbei sein, dabei heißt es doch: Gottes
Mühlen mahlen langsam.‹ Dann lachte er so schauerlich, dass es mir eiskalt den
Rücken hinunterlief.
›Wollen Sie beichten?‹, fragte ich ihn, und er lachte wieder.
›Sparen wir uns diesen Zinnober‹, sagte er. ›Ich will nur mit Ihnen
reden. Ganz einfach reden! Kapiert?‹
›Setzen Sie sich und erzählen Sie‹, sagte ich. Ehrlich gesagt war
mir nicht ganz wohl dabei, aber er begann schon zu reden. Zunächst über seine
Herkunft und Jugend. Eine ziemlich trostlose Angelegenheit. Bald aber kam er
zum Wesentlichen. Berichtete, wie ihn die Sökos angeworben hatten und er
schließlich zum professionellen Killer geworden war. Je länger er erzählte,
umso gelöster wurde er und umso übler mir. Zwölf Menschen hatte er auf dem
Gewissen, alles Menschen, die trotz fortgeschrittenen Alters heute noch leben
könnten.
Obwohl ich im Voraus wusste, dass er sich weigern würde, versuchte
ich ihn zu überreden, sich den Behörden zu stellen. Erwartungsgemäß bezeichnete
er meinen Vorschlag als lächerlich. Er sei doch sowieso bereits zum Tod
verurteilt, warum also sollte er sich dann noch der Polizei stellen. Außerdem
würde er seine Verhandlung ohnehin nicht mehr erleben. Dann nahm er mir das
Versprechen ab, ihn nicht zu verpfeifen. So drückte er sich tatsächlich aus.«
»Wie sind Sie ihn wieder losgeworden?«, fragte Kotek.
»War kein Problem. Als er sein Herz – eine Mördergrube im wahrsten
Sinne des Wortes – ausgeschüttet hatte, ist er von selbst gegangen.«
»Er war Patient auf der Allgemeinen Station, nicht wahr?«
»Ja, das war er.«
»Wissen Sie, wer ihn an Ihre Anstalt vermittelt hat? Das würde uns
interessieren.«
»Niemand. Wenn Platz ist, bekommt jeder Kassen- oder Privatpatient
ein Bett. Er muss nur ordnungsgemäß gemeldet sein. Manchmal nehmen wir sogar
Flüchtlinge auf – ganz ohne Bürokratie. Aber Grabowskys Papiere waren in
Ordnung. Er ist von Beruf Mechaniker, hatte einen Job und einen festen
Wohnsitz. Warum also hätten wir ihn abweisen sollen?«
»In seinen Papieren ist als Beruf neben Mechaniker auch
Maschinenbaustudent angegeben«, warf Kotek ein.
Behrens zog die Schultern hoch. »Er hat mir erzählt, dass er Abendmatura
gemacht, sogar studiert, aber nie abgeschlossen hat. Ich glaube, er war
günstigstenfalls als Gasthörer bei ein paar Vorlesungen eingeschrieben.«
»Aha. Und warum, sagten Sie, kam er hierher?«
»Sein Hausarzt hat ihn überwiesen. Er sollte sein Blut untersuchen
lassen. Wir haben eine bekannt gute Hämatologische an der Klinik. Grabowskys
Zustand war so desaströs, dass man ihn gleich dabehalten hat. Einige Tage nach
unserm Gespräch wurde er dann in häusliche Pflege entlassen. Tags zuvor hatte
ich ihm noch einmal empfohlen, sich den Behörden zu
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