Herbstfrost
wahrscheinlich. Sandra würde mich nicht so ohne
Weiteres in die Pfanne hauen. Andrerseits … auf den jungen Mann der Sökos, mit
dem ich gesprochen habe, wäre sie voll abgefahren. Sie steht auf große blonde
Typen.«
Jacobi legte die Fingerspitzen aneinander. »Ich hatte eher den
Eindruck, sie steht auf große dunkelblonde Frauen.«
Jutta Dietrich lächelte nachsichtig. »Das sind doch Tändeleien, Herr
Hauptmann. Typisch Mann, das so eng zu sehen. Natürlich mag Sandra auch Frauen,
aber nicht ausschließlich. Zudem ist sie stockkonservativ erzogen worden und
hält nach wie vor Ausschau nach Mister Right. Missis Right ist nur für gewisse Stunden vorgesehen.«
»Okay. Belassen wir’s dabei. Also, ich nehme an, Sie haben sich nach
dem Gespräch wieder an Schremmer gewandt?«
»Allerdings. Und welch ein Zufall: Er beschäftigte sich gerade
ausgerechnet mit den Sökos.«
»Wirklich ein irrer Zufall!«
»Fand ich auch. Kurt ließ mich jedenfalls nicht im Zweifel darüber,
wie gefährlich diese Burschen waren.«
»War Ihnen die Bezeichnung ›Sökos‹ eigentlich schon vor dem Treffen
mit Schremmer geläufig?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Der Blonde mit der Lederjacke sprach
nur von einer Organisation, und auch Kurt verwendete das Kürzel bei unserem
ersten Treffen in der Angelegenheit noch nicht. Ich hörte es zum ersten Mal von
Grabowsky.«
»Schremmer riet Ihnen, mit Grabowsky Klartext zu reden, richtig?«
»Ja. Und das tat ich dann auch. Grabowsky war sehr betroffen, wollte
aber trotzdem nicht mit der Sprache herausrücken. Erst tags darauf brach der
Damm. Ich hatte ihm gegenüber absichtlich unterstellt, der Blonde sei ein
Verrückter und die von ihm erwähnte Organisation existiere gar nicht. Meine
offensichtliche Geringschätzung der Gefahr löste Bruno schließlich die Zunge.
Was ich zu hören bekam, war so unglaublich, dass es mir nicht schwerfiel,
weiterhin Skepsis zu heucheln. Und je mehr ich zweifelte, umso mitteilsamer
wurde Bruno.«
»Lieferte er irgendeinen Hinweis auf die Führung der Sökos?« Jacobi
rührte in seinem Kaffee und betrachtete den kleinen Strudel, den er damit
verursachte.
»Wenn Sie Namen erwarten, muss ich Sie leider enttäuschen. Nein,
Namen fielen nicht.« Ihre Körpersprache drückte Abwehr aus. Die Frage
verursachte ihr sichtliches Unbehagen.
Jacobi blickte ihr in die Augen. »Wirklich nicht? Denken Sie noch
einmal nach.«
»Glauben Sie etwa, ich hab das nicht längst getan? Was kann man hier
denn anderes tun als grübeln?«
»Hat Schremmer einmal allein mit Grabowsky gesprochen?«
»Weder Kurt noch Franz haben sich jemals mit ihm unterhalten. Die
sogenannte ›Grabowsky-Beichte‹ lief ausschließlich über mich.«
»Ach? Und wann hat Behrens von der Geschichte erfahren?«
»Nachdem ich hierhergefahren war. Ich rief ihn an und sagte ihm, ich
hätte mich versteckt. Alles andere erfuhr er wohl von Kurt.«
»Wie haben die Sökos auf Ihre Flucht reagiert?«
»Der Blonde kam anscheinend gleich am nächsten Vormittag zu Behrens
ins Büro und fragte, wo ich abgeblieben sei. Der arme Franz wusste inzwischen
über die Sökos Bescheid und stand Todesängste aus. Hinterher verglich er den
Typen sogar mit einem Todesengel. Da fällt mir ein: Grabowsky hat über die
Gesamtorganisation etwas ganz Ähnliches gesagt. Er nannte sie eine Sekte des
Totengottes.«
»Eine Sekte des Totengottes? Interessant.«
»Kurt hat genauso reagiert, als ich diese Bemerkung Grabowskys
erwähnte.«
»Kann ich mir denken. Welche Verbrechen hat Grabowsky Ihnen denn
gestanden?«
»Na, alle, die im Dossier angeführt sind. Wie Sie wissen, war er von
Beruf Mechaniker. Seine beruflichen Fähigkeiten und sein Hobby Sporttauchen
stellte er in den Dienst der Sökos. Er war ein Sabotagespezialist. Der
Untergang der ›Erzherzogin Sophie‹ war beispielsweise sein Werk. Auch etliche
inszenierte Auto- und Haushaltsunfälle gingen auf sein Konto – und das ist
nicht nur so dahergesagt. Vor dem Ausbruch seiner Krankheit soll Grabowsky
wohlhabend gewesen sein. Übrigens hat Kurt alle von ihm begangenen Delikte im
Dossier nachträglich mit einem G markiert. Haben Sie seine Aufzeichnungen
nicht gelesen?«
»Wer behauptet das?«
»Na, Kurt. Er hat mich vorgestern Abend angerufen. Natürlich von
einer Telefonzelle aus. Aber seither hat er nichts mehr von sich hören lassen.«
Doch genau das bezweifelte Jacobi. Als Jutta Dietrich tags zuvor den
Anruf von Sandra Hasenkopf entgegengenommen hatte, hatte
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