Herbstfrost
sie geglaubt,
Schremmer sei am anderen Ende. Sie hatte gesagt: ›Ja, was gibt’s denn noch?
Hast du’s dir anders überlegt?‹
Also mussten sie kurz zuvor miteinander telefoniert haben. Warum
aber gab sie dann eine falsche Anrufzeit an? Und warum stand in der
Grabowsky-Beichte nichts vom Untergang der »Erzherzogin Sophie«? Grabowsky war
anscheinend nicht der kleine Fisch, als den Schremmer ihn verkaufen wollte. Er
war einer der meistbeschäftigten Sökos-Killer gewesen. Schremmer spielte also
falsch. Eigentlich keine neue Erkenntnis. Auch sein Telefonat mit Behrens war
so ein Ei gewesen. Warum hatte er nicht mit seinem Mobiltelefon telefoniert,
sondern über den Hausanschluss? Antwort: Weil er damit gerechnet hatte,
abgehört zu werden. Ihm war es zuzutrauen, Behörden und Medien auf den armen
Behrens zu hetzen, um selbst Ruhe zu haben. Melanie hatte denselben Vorschlag
gemacht – aus ähnlichen Motiven. Ein mediales Kesseltreiben um das HKS hätte Schremmer wieder Spielraum verschafft. Und
genau aus diesem Grund hatte er sich nicht sonderlich gesträubt, Behrens’
Identität preiszugeben.
Mit diesem Bauernopfer hatte er aber gleichzeitig die Deckung von
seiner Dame abgezogen. War der Aufwand, den er mit Jutta Dietrich betrieb,
vielleicht ebenfalls Teil einer durchdachten Strategie? War sie das Luder, das
er vor der Meute tanzen ließ, während er, der Fuchs, sich leise davonstahl?
Jutta Dietrich wusste auf jeden Fall mehr, als sie zugab. Zu viel,
um nur appetitlicher Köder zu sein. Was wiederum nicht heißen musste, dass
Schremmer ihr diese Rolle nicht zugedacht hatte. Köder sprechen nicht, ihre
einzige Funktion ist es, für die Meute attraktiv zu sein. Und welcher Köder
wäre attraktiver gewesen als Jutta Dietrich?
»Ich sagte: Seither hat er sich nicht mehr gemeldet. – Hallo?« Sie
wedelte mit einer Serviette vor seiner Nase herum. »Fallen Sie in Trance,
während ich mit Ihnen rede? Was soll ich nun davon halten? Außerdem warte ich
schon seit einer Ewigkeit auf Feuer.«
Er hielt ihr sein brennendes Feuerzeug vor den Mund. »Entschuldigen
Sie, ich war in Gedanken.«
»Ach, nicht doch.«
»Sagen Sie, hat Schremmer eigentlich damit gerechnet, dass wir Sie
finden könnten?«
Wieder sah sie ihn so eigenartig an wie schon vorhin einmal. Ihre
Augen schimmerten einmal violett, dann wieder blau, dann spielten sie ins
Grünliche. Noch faszinierender aber waren die goldenen Fünkchen, die
gelegentlich darin aufblitzten.
»Nicht direkt. Aber er hat es auch nicht ausgeschlossen.«
»Hat er Ihnen für diesen Fall Verhaltensregeln mitgegeben? Etwa, was
Sie mir sagen dürfen – und was nicht?«
»Hat er.« Jetzt war sie wieder bei der Sache.
»Ich will jetzt von Ihnen nur ein klares Ja oder Nein auf meine
nächste Frage hören: Hat Schremmer Ihnen verboten, die Bezeichnung ›Sekte des
Totengottes‹ zu erwähnen?«
»Ja.« Sie lächelte, doch Jacobi hatte keinen Schimmer, weshalb.
»Sie haben dieses Verbot ignoriert. Warum?«, fragte er.
Mit einer ungeduldigen Kopfbewegung warf sie ihr Haar nach hinten.
»Erstens lasse ich mir von niemandem was verbieten, und zweitens geht es hier
auch um meine Haut, nicht nur um seine.«
»Ein Argument, das schwer zu entkräften ist. Sie wissen, was die
Bezeichnung bedeutet?«
»Tut mir leid. Keine Ahnung. Dachte nur, es könnte wichtig sein,
weil er ähnlich hellhörig darauf reagiert hat wie Sie vorhin. Wissen Sie, ich
will die Sökos so schnell wie möglich hinter Schloss und Riegel sehen, damit
ich wieder ein normales Leben führen kann. Ich bin Kurt für seine Hilfe
dankbar, aber auf seine Alleingänge und Geheimniskrämereien hatte ich schon
früher null Bock. Deshalb meine einfache Rechnung: Wenn Sie, Jacobi, genauso
viel wissen wie er, müssten Sie dank Ihrer Möglichkeiten schneller am Ziel
sein. Nur das zählt für mich.«
»Vielen Dank für Ihr Vertrauen. Aber um es zu rechtfertigen, müsste
ich wirklich alles wissen.«
»Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß.«
Jacobi gab es auf, weiter in sie zu dringen. »Gut. Dann reden wir
jetzt zuerst einmal über Ihre persönliche Sicherheit. Sollten Sie Ihr
Mobiltelefon in nächster Zukunft nicht anrühren, werden die Sökos vermutlich
nie hierherfinden. Sollte aber Schremmer Sie besuchen, erhöht sich die Chance
schlagartig. Irgendwann wird er ja Lebensmittel heraufbringen, und dann sind
auch die Sökos da.«
»Freut mich ja, dass Sie sich um mich sorgen, aber ich kann Sie
beruhigen. Kurt ist schon
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