Herbstfrost
Stelle
versuchen ihn zu erwischen.«
»Heute oder morgen wohl nicht«, widersprach Kotek. »Oskar, erinnerst
du dich an das Päckchen, das Schremmer in der Sparkasse Alter Markt in einem
Bankschließfach deponiert hat?«
»Klar, was ist damit?«
»Er muss in der vergangenen Woche im Club darüber gesprochen haben.
Am Clubabend letzten Freitag. Alle AIC -Direktoren
waren anwesend. Heidi Nilson hat mir davon erzählt. Sie spricht ohnehin fast
nur von ihm. Sie sagte, er habe angedeutet, das Päckchen enthielte Disketten
mit Daten zu dem Fall, an dem er gerade arbeitet. Und jetzt wird’s interessant:
Kopien der Disketten seien angeblich bei einem Notar hinterlegt. Der habe die
Aufgabe, sie Behörden und Medien zu übergeben, falls ihm, Schremmer, in
nächster Zeit etwas zustoßen sollte.«
»Ganz schön frech, der Sökos-Führung auf diese Weise mitzuteilen,
dass sie enttarnt ist«, sagte Weider.
Jacobi nickte. »Frech ja, aber nicht schlecht gedacht. Schremmer
will Zeit gewinnen, und die Alpha-Kader können seinen Schachzug nur so
interpretieren, dass er eine Erpressung vorhat. Andernfalls hätte er das
Material längst den Behörden übergeben.«
»Trotzdem ist der Plan nicht aufgegangen. Schließlich wollten sie
ihn gestern noch um die Ecke bringen«, insistierte Weider. »Und dich als
Draufgabe dazu, falls du dich erinnerst.«
»Ja, an diesen drei Punkten hakt es immer wieder.« Jacobi tippte wie
ein Karateka mit zwei Fingern auf die Marmorplatte des Wohnzimmertisches, so
als wollte er deren Festigkeit prüfen. »Die Ermordung Grabowskys und die
Anschläge auf Schremmer und mich widersprechen jeder Logik.«
»Und sind dennoch geschehen«, hielt Kotek fest. »Vielleicht
unterschätzen wir die Nervosität der Sökos ja auch? Oder umgekehrt: Vielleicht überschätzen wir ihren Führungskader? Jahrelang sind sie
ihrem grausigen Geschäft unbemerkt nachgegangen und fühlten sich sicher, aber
dann taucht plötzlich ein Enthüllungsjournalist in ihrer Mitte auf. Panik macht
sich breit, und als sie sich über das weitere Vorgehen nicht einigen können,
läuft einer von ihnen Amok.«
»Möglich«, räumte Jacobi ein. »Aber der Amokläufer ist sicher nicht
der Alpha-Wolf. Wer jahrelang eine Organisation wie die Sökos geleitet hat,
ohne deren Profil auch nur einmal sichtbar werden zu lassen, der gerät nicht so
leicht wie seine Anhänger in Panik, wenn er eine Laus wie Schremmer in seinem
Pelz bemerkt. Aber genau das ist der springende Punkt: Schremmer weiß nach wie
vor nicht, wer der Boss der Sökos ist. Er ist uns kaum noch eine Nasenlänge
voraus, obwohl er sich so viel Mühe gibt, uns zu verwirren. Er wartet nur
deshalb noch mit der Veröffentlichung, weil ihm die entscheidende Info fehlt.
Und der Alpha-Wolf weiß das.«
»Oder die Alpha-Wölfin«, monierte Kotek. »Aber eine Erklärung für
die Anschläge ist das erst recht nicht.«
»Ich habe auch nicht behauptet, eine zu haben, Melanie. Die
Anschläge sind die Nuss, die wir nicht knacken können. Noch nicht.«
Sie stand auf und nahm ihre lammfellgefütterte Lederjacke von dem
anderen Fauteuil. »Wie auch immer: Ich könnte euch heute sowieso nicht mehr
helfen, sie zu knacken. Um acht soll ich im ›Österreichischen Hof‹ sein. Ich
muss also schleunigst nach Hause und mich in Schale werfen.« Sie beugte sich zu
Jacobi hinunter und küsste ihn auf die unrasierte Wange. »Ciao, du untreue
Seele!«
Er zog sie am Revers ihrer Lederjacke zu sich heran und küsste sie
auf den Mund. »Du versündigst dich, bellissima !«,
sagte er, sie loslassend. Und als sie sich einige Schritte von ihm entfernt
hatte: »Du hast ja keine Ahnung, worauf ich da oben auf der Alm verzichtet
habe.«
Sie schnappte nach Luft, griff nach einem von Nadines Plüschtieren
auf der Anrichte und warf es nach ihm.
***
Weider wohnte draußen in Parsch, Gaisbergstraße 46a. Jacobi
setzte ihn vor der Haustür ab. Auf der Rückfahrt hätte er schon nach einigen
hundert Metern links in die Aigner Straße einbiegen und so die kürzeste Route
nach Glasenbach nehmen können, aber er wählte vorsichtshalber einen Umweg:
zurück zur Karolinenbrücke und am linken Salzachufer auf der Alpenstraße
stadtauswärts bis zur Schleife Hellbrunner Straße.
Er hatte sich vorgenommen, erst am nächsten Tag mit Vogt Kontakt
aufzunehmen, doch schon auf Höhe des Unfallkrankenhauses hielt er es nicht mehr
aus. Als er seine Telefonnummer wählte, kam die Verbindung sofort zustande.
»Hallo, Oskar, was
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