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Herbstfrost

Herbstfrost

Titel: Herbstfrost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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das unvermeidliche Feuerwerk, das
Conte einen Augenblick lang ablenkte. Als er sich wieder umwandte, war Jacobi
verschwunden.
    ***
    »Gott sei Dank ist die Angelegenheit endlich den Behörden
übergeben worden«, sagte Theo Basidius, ein kahlköpfiger Grandseigneur mit
weißem Chaplin-Bärtchen, aufatmend. Seine Frau Cynthia und er saßen Jacobi in
einem Konferenzraum im dritten Stock des Palais gegenüber.
    »Sie hätten es in der Hand gehabt, die Behörden früher
einzuschalten«, sagte Jacobi.
    Basidius lächelte gequält. »Ich verstehe, dass Sie sauer sind. Aber
versetzen Sie sich einmal in meine Lage. Als ich vor eineinhalb Jahren zum
ersten Mal Verdacht schöpfte, war das kein Aha-Erlebnis. Der Verdacht, der sich
mir aufdrängte, war derart makaber, dass ich ihn zunächst energisch von mir
schob. Erst als er sich sukzessiv verfestigte, Mosaiksteinchen für
Mosaiksteinchen, konnte ich die Augen nicht länger verschließen. Ich bin ein
eifriger Zeitungsleser, müssen Sie wissen. Lese alle Rubriken und Anzeigen,
unter anderem auch die Todesanzeigen. – Nicht aus beruflichem Interesse«, fügte
er hastig hinzu.
    »Im vorigen Frühsommer stachen mir zwei Todesfälle und drei
Vermisstenanzeigen ins Auge. Ich habe ein gutes Namensgedächtnis, und alle fünf
Namen waren mir bekannt. Es waren AIC -Kunden.
Mitarbeiter, die mir unterstellt waren, hatten vor Jahren lukrative Verträge
auf Erleben mit ihnen abgeschlossen. Und nun? Die Versicherungsnehmer waren
unmittelbar vor ihrem Hinscheiden in den Ruhestand getreten, viel hatten sie
von ihrer Zusatzpension also nicht gehabt. Uns dagegen ersparte ihr frühes
Ableben ein ansehnliches Sümmchen. Das dachte ich damals, nichts weiter. Als
ich aber Wochen später ein Déjà-vu ähnlicher Art hatte, wurde ich schon
nachdenklicher.«
    »Und beim dritten Mal begannen Sie nachzuforschen«, beschleunigte
Jacobi den barocken Monolog seines Gegenübers.
    »Sie sagen es. Doch noch immer trieb mich eher die Neugierde denn
ein Verdacht. Es waren auch nicht die Todesanzeigen, die mich stutzig werden
ließen, irgendwann stirbt ja jeder Kunde, nein, es waren die auffällig vielen
Vermisstenanzeigen, die den Finanzen der AIC zugutekamen. Im Herbst vorigen Jahres begann ich erstmals methodisch
nachzuforschen, sprach aber mit niemandem darüber, nicht einmal mit meiner
Frau.«
    Cynthia Basidius, eine füllige Brünette Ende fünfzig, rümpfte die
Nase.
    »Zahlen lügen nicht«, fuhr ihr Mann aufseufzend fort. »Ich ließ mir
die Salden der letzten drei Jahre zeigen und sah es schwarz auf weiß: Die AIC hatte in diesem Zeitraum unverhältnismäßig oft vom
frühzeitigen Hinscheiden ihrer Kunden profitiert, genauso wie von blockierten
Auszahlungen an Angehörige von Vermissten. Das konnte kein Zufall mehr sein,
dazu waren die Fakten zu krass, zu eindeutig. Ich sprach mit meinem Sohn Paul
darüber, der sich anfänglich weigerte, meinen Verdacht zu teilen. Erst nachdem
die Cermak-Morde wochenlang durch die Medien geisterten, wurde er nachdenklich.
Trotzdem riet er mir davon ab, gleich die Polizei einzuschalten.«
    »Sehen Sie: Eben das kann ich nicht verstehen«, sagte Jacobi. »Als
Abgeordneter wird Ihr Sohn doch nicht müde, stets Transparenz einzufordern.«
    »Das habe ich ihm auch gesagt«, mischte sich jetzt Cynthia Basidius
ein. »Er hätte auf uns keine Rücksicht nehmen müssen. Theo wollte ja ohnehin
bald –«
    »Natürlich brauchte er auf uns keine Rücksicht zu nehmen«,
unterbrach ihr Mann sie. »Aber letztlich sind Vermutungen de jure noch keine
Beweise –«
    »De jure vielleicht nicht, aber de facto! Das hast du selbst
gesagt«, fiel nun sie ihm ins Wort. »Und die Verdachtsmomente, sprich die hohen
Zufälligkeitsraten, die hätten allemal für eine Untersuchung gereicht.«
    »Hätten, hätten! Wir hätten ja auch selbst
zur Polizei gehen können«, schimpfte er. »Warum musst du nur immer auf Paul
rumhacken?«
    Cynthia Basidius konterte den Vorwurf mit einer wegwerfenden
Handbewegung.
    »Herr Hauptmann, da ist noch etwas, das Pauls Verhalten
verständlicher macht –«
    »Das gehört jetzt nicht hierher, Cynthia!« Basidius wurde laut.
    »Doch, es gehört hierher, Theo«, sagte sie unbeirrt. »Hauptmann
Jacobi muss sich das richtige Bild machen können. Und dazu gehört auch, dass er
über Pauls Verhältnis mit Gudrun Bescheid weiß.«
    »Gudrun Sorge?«, fragte Jacobi ahnungsvoll.
    Cynthia Basidius nickte. »Ist schon eine Weile her. Gudrun hatte
nach Paul noch etliche

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