Herbstfrost
Fauteuil. »Eine letzte Frage noch: Hatten Sie etwas mit
Sorges Frau?«
»Sehe ich denn so bescheuert aus? Gewiss, Lysander ist ein Weichei,
und so etwas wie diese Sökos-Kacke könnte er beispielsweise nie ausbrüten, aber
er kann mir aus Gründen, die ich nicht näher erörtern will, große
Schwierigkeiten machen. Und kein Fick mit Gudrun wäre diese Schwierigkeiten
wert.«
***
Jacobi hatte den Beobachtungsposten am Fenster wieder
eingenommen. Schremmer war eben aus dem Pool gestiegen. Der triefende Smoking
tat seinem Sex-Appeal keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil: Zwei junge Damen
prügelten sich fast um das Vorrecht, ihm Jacke und Hemd ausziehen zu dürfen.
Doch beide hatten das Nachsehen: Eine Hostess vom Partyservice war mit einem
Leihfrack samt Unterwäsche sofort zur Stelle und begleitete den Journalisten in
die Umkleidekabine.
Auf dem Flur ertönte das Klappern von Stöckelschuhen. Sekunden
später trat Phryne Rottenstein ein. »Hallo, Oskar!«
Jacobis Nackenhaare sträubten sich. Schon Sorges Bericht über das
belauschte Telefonat hatte sein Misstrauen geweckt, aber Phrynes salopper Gruß
alarmierte ihn noch mehr. Sie hatten sich geduzt, solange Phryne noch ein Kind
gewesen war, doch selbst dem sechzehnjährigen Teenie hatte damals das vertraute
Du nicht mehr gepasst. Und jetzt, nach zehn Jahren Funkstille, sollte plötzlich
wieder Leutseligkeit angesagt sein? Jacobi war skeptisch.
»Hallo, Phryne! Tolles Kleid, Kompliment! Aus dem Backfisch von
damals ist eine sehr attraktive junge Dame geworden.«
»Danke, Oskar, aber leider hast du mich ja nicht hierherzitiert, um
mir Komplimente zu machen. Opa hat mir von diesen Sökos und von deiner Theorie
erzählt, es bestünde eine Verbindung zwischen ihnen und der AIC . Auch, dass du ihn zu den Hauptverdächtigen zählst
– und mich.« Sie wirkte so gelassen, als sei irgendeine Versicherungspolice
Gegenstand des Gesprächs.
»In diesem frühen Stadium der Ermittlungen wird jede Möglichkeit
überprüft«, sagte er unverbindlich. »Aber eines steht außer Frage: Die
Sökos-Spur, die zur AIC weist, ist keineswegs
hypothetisch, und ich habe dich nicht herzitiert , wie
du dich auszudrücken beliebst, ich habe um die Unterredung gebeten ,
und die kann hier am unauffälligsten stattfinden.«
Das Gespräch verlief erwartungsgemäß. Auch Phryne hatte natürlich
von alldem nichts gewusst. Mit Blick auf den notwendig gewordenen Personalabbau
der letzten Jahre seien ihr andere Einsparungen nicht so sehr aufgefallen.
Jedenfalls nicht jene, die sich aus der anabatischen Sterberate von AIC -Kunden ergeben hätten.
Die Frage, wem sie die Sökos-Idee am ehesten zutraue, beantwortete
sie ohne Umschweife.
»Da fällt mir nur Sorge ein.«
»Das sagt dein Großvater auch. Warum ausschließlich Sorge?«
»Sorge ist bei aller bürokratischen Verstaubtheit ein Romantiker.
Und nur ein Romantiker ist meiner Meinung nach imstande, einer Idee zuliebe
über Berge von Leichen zu gehen. Die Firma ist Sorges Lebensinhalt, stünde sie
auf dem Spiel, würde er sie mit Zähnen und Klauen verteidigen. Ich weiß, dass
sein nachgiebiges Verhalten Gudrun gegenüber ein anderes Licht auf ihn wirft,
aber glaub mir, er ist kein armes Schaf, sondern vielmehr ein Wolf. Und Gudrun
ist der unerfüllte romantische Traum dieses Wolfes. Sorge leistet es sich,
diesen Traum zu träumen, wie ein anderer sich ein teures Hobby leistet.«
»Jeder erzählt mir von dieser unglücklichen Ehe. Warum trennt sich
Gudrun Sorge unter diesen Umständen nicht von ihm?«
»Gudrun kann sich nicht selbst ernähren. Sie stammt aus einer
großbürgerlichen Familie, ihre Mutter war eine Jugendliebe Lysanders. Heiraten
durfte sie den tüchtigen Parvenu nicht, wohl aber einen saft- und kraftlosen Kammerfunktionär.
Gudruns Vater zerrann das Familienerbe zwischen den Händen, während um ihn
herum die Yuppies der Siebziger und Achtziger zu Reichtum und Ansehen kamen.
Aber Lysander hat die Familie immer im Auge behalten, und die Tochter der
verarmten Jugendliebe fiel ihm schließlich wie eine reife Frucht in den Schoß.
Gudrun liebt den Luxus, und Lysander kann ihn ihr bieten. Nach der Heirat hat
er die Schulden der Schwiegereltern beglichen und Gudruns Vater in ein Büro
gesetzt, in dem er keinen Schaden anrichten konnte.«
»Aha. Und als der Honeymoon vorbei war, begriff sie, dass sie sich
in totaler Abhängigkeit befand«, fasste Jacobi zusammen.
»Ja. Sie ist nie damit fertiggeworden, bricht immer wieder aus
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