Herbstgeflüster (Die Kanada-Reihe)
sah zur Heizung. Mist. Er hatte seinen Gefangenen völlig vergessen. Sein erster Albtraum seit Monaten und dann bekam dieser Kerl ihn auch noch live mit. „Nichts.“
„Wenn jemand schreiend aus dem Schlaf hochfährt und dabei zittert und nach Luft schnappt, als wäre er im Traum ermordet worden, kann ich mir an zehn Fingern abzählen, was los ist. Also spar' dir die Lüge.“
„Es geht dich nichts an.“
„Feigling.“
„Arschloch!“, zischte Bomer und stand auf. Er musste sich am Nachttisch festhalten, weil sein Kreislauf zuerst verrückt spielte, und ärgerte sich darüber, dass der Kerl diese Schwäche auch noch mitbekam. Ohne einen Blick auf ihn zu werfen, ging er hinüber ins Badezimmer und stellte sich unter die Dusche. Erst warm, dann heiß, dann kalt. Es half und ließ ihn wieder richtig zu sich kommen.
Wieso heute? Nach all der Zeit, die er ruhig und ohne jede Erinnerung an die Vergangenheit geschlafen hatte? Bomer hielt den Kopf unter den warmen Wasserstrahl. Bald würde es endgültig kalt werden, wenn er den Vorrat im Boiler verbrauchte, aber das war ihm gleichgültig. Es war sein Haus, sein Badezimmer, sein heißes Wasser. Er lebte hier, in seiner neuen Heimat, und die wollte er sich nicht von einem verhinderten Meuchelmörder oder den Schatten seiner Vergangenheit nehmen lassen.
Er drehte das Wasser erst ab, als es kälter wurde, und kehrte ins Schlafzimmer zurück, wo er irritiert in der Tür stehen blieb. Emma saß auf seinem Bett und putzte sich, während Charly hechelnd bei seinem unbekannten Gast lag und sich von ihm streicheln ließ.
„Wie ist sein Name?“
„Charly“, antwortete Bomer automatisch und ging an seinen Schrank, um sich frische Shorts anzuziehen. „Die Katze heißt Emma.“
„Ich mag Tiere“, flüsterte sein störrischer Gefangener. „Wir hatten nie welche.“
„Wir?“
Es kam keine Antwort, und als Bomer sich umdrehte, hatte der Mann ihm schweigend den Rücken zugewandt und sich wieder hingelegt. Ein Puzzlestück, das an seinen Platz rückte, begriff Bomer, denn dieses 'wir' verriet sein Gegenüber. Obwohl er noch keinen Beweis hatte, war er nun sicher, dass der Grund für all das hier einen Namen hatte, und der Mensch dahinter war seinem Gefangenen offenbar sehr wichtig gewesen. Rache also.
Bomer lehnte sich mit seinem Rücken an das Kopfteil vom Bett, schaltete das Licht aus und ließ zu, dass Emma sich neben ihm auf dem Kopfkissen zusammenrollte. Er würde auch Charly lassen, wo er war, denn dort schien er gut aufgehoben zu sein. Bomer sah zum Fenster hinaus und betrachtete den Mond, während er nachdachte.
Wenn er wenigstens einen Namen gehabt hätte, einen Hinweis darauf, wen er getötet, für wen er sterben sollte. Auge um Auge. Das Sprichwort war Bomer geläufig. Er hatte es bei den Seals selbst angewendet. Häufiger sogar, als ihm mittlerweile lieb war. Aber früher war sein Leben von Befehlen geprägt gewesen, und er wollte nicht mehr morden müssen oder selbst in den Tod gehen, ohne den Grund dafür zu kennen.
Sein Blick wanderte zurück auf den Mann am Boden. Er schaute einige Zeit seinen Atembewegungen zu und schmunzelte, als Charly schließlich über ihn kletterte, um es sich eng an der lebenden Wärmequelle gemütlich zu machen. Sein Gast zog den Welpen im Schlaf an sich, was Bomer einen Stich im Inneren bescherte, den er wütend wegschob. Genau wie den flüchtig durch seinen Kopf rasenden Gedanken, wie es sich wohl anfühlen würde, wäre er umarmte.
Mit Jake hatte es ihm gefallen. Nachdem er sich von seinem Schock erholt hatte, mitten in der Nacht wach zu werden und von zwei langen Beinen und starken Armen umschlungen zu sein. Es hatte ihn einige Überwindung gekostet, Jake einfach auf sich liegen zu lassen, aber mit jeder Sekunde, die vergangen war, hatte Bomer gespürt, wie er ruhiger geworden war und sich entspannt hatte.
Vielleicht sollte er es auf diesem Wege probieren. Mit Gelassenheit, Ruhe und Freundlichkeit. Da er mit seinen Androhungen von neuer Gewalt ja augenscheinlich nicht weiter kam, war es einen Versuch wert.
„Was soll das jetzt für ein Trick sein?“
„Es ist keiner. Ich bin ein netter Gefängniswärter und lasse dich heute duschen.“ Bomer lehnte sich belustigt an den Türrahmen. „Du kannst natürlich auch gern dreckig bleiben, wenn dir das lieber ist.“
Das hör- und sichtbare Misstrauen, welches ihm von der anderen Ecke des Badezimmers entgegenschlug, war amüsant und lästig zugleich. Bomer knurrte der
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