Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
drückt
ganz kurz meine Hand und sagt nichts. Es ist schön, immer seine kleinen, wie zufällig
scheinenden Berührungen zu spüren. Sie machen mir Mut, und ich merke, dass er mich
versteht.
»Danke«, sage ich leise.
»Danke nicht mir, sondern deinem Talent«, antwortet Leo. »Und
dann zeig uns, was du drauf hast.«
Erst jetzt sehe ich, dass auf dem Balkon ein kleiner Tisch
steht, an dem zwei Frauen sitzen. Sie haben uns ebenfalls bemerkt, schieben ihre
Stühle beiseite und kommen herein.
»Hi, Leo«, sagt die eine und lächelt derart anzüglich, dass
ich sicher bin, die beiden waren letzte Nacht zusammen im Bett (was meine Euphorie
etwas dämpft). Sie ist eine brünette Schönheit mit ebenmäßigen, edlen Zügen – perfekt
wie eine antike Marmorstatue.
Und sie wird mir Probleme machen. Das steht fest.
»Marlene,
das ist Rosa, deine neue Chefin.«
Na, ob das
die geschickteste Vorstellung war?
»Rosa, das
ist Marlene. Wir haben bis dato zweimal zusammengearbeitet. Du kannst auf sie zählen.«
Ich halte
ihr die Hand hin. Sie haucht Leo ein Küsschen auf die Wange und übersieht meinen
Gruß. Stattdessen schlägt die andere Frau ein.
»Ich bin
Bettina«, sagt sie und drückt kräftig meine Hand. »Sag ruhig Tina zu mir, okay?«
Ich grinse zurück. Tina, die ungefähr mein Alter haben dürfte,
ist mir vom ersten Moment an sympathisch. Sie hat Sommersprossen auf der Nase wie
ich. Ihre kurzen, hellen Haare schimmern rötlich und stehen störrisch und borstig
vom Kopf ab, sodass ich mich unweigerlich an Pumuckl erinnert fühle. Im Gegensatz
zu dem Kobold versucht sie jedoch mit zwei ineinander geschlungenen bunten Tüchern
die eigenwillige Haarpracht zu bändigen. Ich lächle sie an. Sie zwinkert mir zu.
Über der Augenbraue und am Nasenflügel glitzern kleine Piercings, die perfekt zu
ihrer lässigen Aufmachung passen. Um ihre zerrissene Jeans hat sie einen breiten
ledernen Gürtel geschlungen, an dem kleine Taschen mit ihren Arbeitsutensilien hängen.
Fazit: Tina sieht richtig cool aus. Sie und ich werden gut zusammenarbeiten. Das
steht fest.
Die schöne Marlene flirtet, während wir uns bekannt machen,
nach Kräften mit Leo. Im Gegensatz zu Tina ist sie eine sehr elegante Erscheinung.
Sie trägt ein schwarzes, schlichtes Minikleid und hochhackige Schuhe, mit denen
sie fast so groß wie der Regisseur ist. Auf Schmuck und Schnickschnack hat sie verzichtet
und verlässt sich stattdessen ganz auf ihre körperlichen Reize. Und das mit Recht.
Ihre Beine sind endlos lang, wohlgeformt, ihre Haut leicht gebräunt, die Haltung
stolz und aufrecht. Bestimmt hat sie früher Ballett getanzt. Wie sie beim Lachen
ihre langen, leicht gewellten Haare in den Nacken wirft, das ist einfach weltklasse.
»Unsere Aphrodite«, sagt Tina, die meinem Blick gefolgt ist,
und zwinkert mir zu. »Ihr widersteht keiner und das weiß sie auch.«
Ich seufze
leise, dann wende ich mich der neuen Kollegin zu. »Zeigst du mir alles?«
»Klar!«
*
Nur ungern habe ich mich heute von
meinem Traum-Arbeitsplatz verabschiedet (Lustig! Zuerst wollte ich nicht hin, dann
wollte ich nicht mehr weg). Die Stunden sind nur so verflogen und ich hatte nach
kurzer Zeit das Gefühl, angekommen zu sein. Mit Marlene und Tina habe ich meine
Entwürfe durchgesprochen.
Viel Zeit
zum Aufwärmen, Eingewöhnen und so weiter bleibt nicht gerade, denn ab Montag legen
wir los. Aber Leo hat mir Mut gemacht. Er glaubt an mich und die ›Strahlkraft‹ meiner
Ideen. Was er immer für gewaltige Worte findet!
Jetzt bin
ich auf dem Weg in den Wedding. Ich will aus der Werkstatt ein paar Sachen abholen,
mit Margret und Jola einen Kaffee im Schraders trinken und dann natürlich auf Basti
warten, der langsam, aber sicher erfahren sollte, dass ich einen neuen Arbeitsplatz
habe.
Natürlich
kommt alles anders. Die Tür zur Werkstatt steht offen, es ist jedoch keiner da.
Stattdessen ertönt lautes Geschrei vom Schraders herüber. »Rosa, hier sind wir!
Komm her!«
An einer
langen Tafel sitzen sie alle – Jola, Margret, meine Oma, Vicki und Daniel, Jens
und Oskar und … Basti!
»Hat wer
Geburtstag?«, frage ich, als ich Cocktails und eine quietschbunte Torte auf dem
Tisch sehe.
»Alles Gute
zum neuen Arbeitsplatz«, ruft die Horde im Chor und hebt die Gläser.
Gefühlte
hundert Hände tätscheln mich. Ich muss Küsschen geben und strahlen, was das Zeug
hält. Jens drückt mir ein großes Glas Aperol Spritz in die Hand.
»Was immer
das auch ist«, sage ich zu
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