Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
»Ja, von
Herzen gern. Und meine Meisterin ist einverstanden. Ich kann also sofort anfangen.«
»Dann erwarte
ich dich um 12 Uhr am Musicaltheater. Du kommst zum Bühneneingang. Ich hole dich
dort ab und zeige dir alles. Und sei pünktlich.«
»Alles klar.«
Ich bin
ein bisschen überrumpelt. Eigentlich hatte ich mich auf einen gemütlichen Arbeitstag
mit Jola und Margret eingestellt. Schließlich ist Freitag. Da fängt man keine neue
Arbeit an.
Reiß dich
zusammen Rosa. Gemütlich oder erfolgreich? Was willst du?
»Erfolgreich
sein«, sage ich vor mich hin, während ich aus dem U-Bahnhof hinaus ins Sonnenlicht
laufe. »Erfolgreich sein.«
*
Mehr als eine Viertelstunde vor
der verabredeten Zeit stehe ich am Bühneneingang des Musicaltheaters mitten auf
dem Potsdamer Platz. Nervös betrachte ich das geschäftige Treiben um mich herum,
die schicken Armani-Anzug-Typen und Prada-Kostüm-Ladys mit Starbucks-Kaffeebechern
in der Hand, vertieft in wichtige Gespräche oder eilend auf dem Weg zum Meeting
mit internationalen Geschäftspartnern.
Nur ein
paar U-Bahn-Stationen und Berlin zeigt mir ein völlig anderes Gesicht. Kein türkischer
Gemüsemann reicht mir frisch geschnittene Papaya-Häppchen aus seinem Laden, weil
er weiß, dass ich die so gerne esse. Kein Zeitungsmann winkt mit der druckfrischen
Gala, wenn ich vorbeikomme, und kein Gastwirt weiß, dass ich meinen Milchkaffee
am liebsten mit Karamellsirup und aufgeweichten Amaretti trinke.
Nein, hier
trifft sich der Head of Global Communications mit dem Senior Finance Specialist
zum Business-Lunch … ähm, oder so was in der Art. Sie schieben sich mal eben eine
Millionen über den Tisch, während sie in einem der stylischen Asia-Läden Miso-Suppe
und Lachs-Sashimi verspeisen.
Ich bin
nervös. Und zwar richtig.
Noch keine
drei Monate bin ich im Wedding als Schneiderin angestellt. Schon treibt es mich
woanders hin. Gemütlich ist was anderes.
»Ich habe
es ja so gewollt«, mache ich mir selbst Mut.
Zwei Minuten
später steht Leo vor mir (er ist übrigens selbst zu früh). Nach einem einzigen Blick
in seine braunen Augen weiß ich wieder, dass ich eigentlich gar keinen Bock auf
Gemütlichkeit habe.
Beherzter
als mir zumute ist, folge ich ihm ins schicke Berliner Musical-Theater, in dem ich
noch nie eine Vorstellung besucht habe, weil die Karten ziemlich teuer sind. Und
plötzlich soll ich hier arbeiten. Cool!
Nachdem
ich im Schlepptau von Leo durch ein Wirrwarr von Gängen gelaufen bin (alleine finde
ich bestimmt nicht wieder nach draußen), machen wir endlich vor einer Tür Halt.
»Das hier
ist mein Zimmer«, sagt Leo. »Wenn etwas mit mir zu besprechen ist, kannst du jederzeit
kommen, okay?«
Ich nicke.
»Nebenan
ist der Raum für die Meetings. Termine dafür werden rechtzeitig bekannt gegeben.
Jetzt zeige ich dir deine Werkstatt. Die anderen wichtigen Leute lernst du später
kennen.«
Oh? Gehöre
ich etwa zu den wichtigen Leuten?
»Und nun
mach nicht so ein ängstliches Gesicht«, sagt Leo und legt kurz seinen Arm um mich,
während er mich durch den Bauch des Theaters schleppt. »Ich habe allen erzählt,
was für eine klasse Designerin du bist. Die freuen sich auf dich. Also los! Lächeln!«
Ich nicke
und verziehe meinen Mund in der Hoffnung, dass es wie ein Lächeln aussieht. Am liebsten
würde ich aufs Klo rennen und mich einschließen, wie früher, wenn meine Mutter sauer
auf mich war. Aber das ist kindisch und sieht blöde aus, zumal Leo schon die Tür
aufmacht. Kein Zurück mehr!
Wenn Margrets
kleine gemütliche Werkstatt der Himmel ist, dann ist hier das Paradies. Den Raum,
der sich vor mir auftut, liebe ich vom ersten Moment an. Er ist groß, rechteckig,
beinahe wie eine kleine Fabrikhalle, mit dunklem Parkettboden und bodentiefen, riesigen
Fenstern, die auf einen über die ganze Breite laufenden Balkon hinausführen. An
einer der schmalen Seiten befindet sich eine Spiegelwand. An der anderen Seite sind
bis hoch zur Decke Garderobenständer befestigt, die – abgesehen von wenigen Stücken
– völlig leer sind. Mitten im Raum stehen die Nähmaschinen, Kleiderpuppen, Bügel-
und Zuschnitt-Tische. An einem Fenster ist ein Pult mit Zeichenutensilien aufgestellt,
über den sich eine Leine für die Bilder spannt. Dazwischen mehrere große Kübel mit
Pflanzen und eine kleine Ecke mit Kühlschrank und Kaffeemaschine.
Mir bleibt
die Luft weg.
»Das ist
ein Traum«, hauche ich und schlucke mit aller Kraft die Freudentränen herunter.
Leo
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