Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
und noch mehr
»Und? Bist du noch sauer?«, fragt
Basti.
»Ich war
gar nicht sauer.«
»Du hattest
aber allen Grund.«
»Warum?
Weil du deine Arbeit machen musstest? Ich bin kein herzloses Monster.«
Im Moment
sind Basti und ich Weltmeister in nicht funktionierender Kommunikation. Ich sitze
in der U-Bahn, habe erfolgreich meinen Sekt-Brummschädel mit Kaffee kuriert und
mich total gefreut, dass er endlich anruft. Und nun läuft unser Gespräch so ab,
dass ich wirklich gleich sauer auf ihn bin.
»Du weißt
doch, was ich meine. Weil ich dich versetzt habe.«
»Basti.
Es ist okay. Lass uns das Thema wechseln.«
»Entschuldige.«
»Wie geht
es der Frau?«
»Welcher
Frau?«
»Deiner
Patientin, wem sonst?«
Mensch,
ist das anstrengend.
Während
Basti redet, wandern meine Gedanken wie automatisch zu Leopold und seinem verlockenden
Angebot. Er hat sich also entschieden. Ich soll tatsächlich seine leitende Kostümbildnerin
werden!
Das sollte
Basti jetzt eigentlich erfahren. Aber er fragt mich gar nicht nach meinen Neuigkeiten.
Obwohl ich ihm extra auf die Mailbox gesprochen habe.
Während
er irgendetwas von seiner Arbeit erzählt, träume ich mich weg. Vor meinem inneren
Auge erscheint Rosanas Reisekleidung – ein schmales Oberteil mit Carmen-Ausschnitt,
ein weiter, knöchellanger Rock mit breitem Gürtel, dazu ein tailliertes Jäckchen,
zierliche Schnürstiefel mit kleinem Absatz und eine große Stofftasche – alles erdfarben
oder grün, das Kleid vielleicht zart kariert. Schlicht, bodenständig und geschmackvoll.
»Wahnsinn!«,
jubele ich, weil mir meine Idee richtig gut gefällt.
»Schön,
dass du das auch so siehst«, sagt Basti. »Stell dir vor, wenn es uns gelingt, wirklich
nur einen Schnitt zu machen, nämlich unter dem Kinn, dann bleibt bei unserer
Patientin nur eine kleine Narbe zurück und sie sieht wieder ganz normal aus – ganz
abgesehen von der Erhaltung, ja sogar Verbesserung ihres Hörvermögens.«
Narbe? Kinn?
Ach so, die Frau mit dem Tumor …
Er träumt
von Schnitten genau wie ich, jedoch von völlig anderer Art. Zum Glück hat Basti
nichts von meiner geistigen Abwesenheit gemerkt. Schuldbewusst zwinge ich mich,
ihm und seinen Ausführungen über die Operation seiner Patientin die gebührende Aufmerksamkeit
zu schenken und dabei nicht von Kleidern zu träumen.
»Wann sehen
wir uns?«, frage ich, als er kurz Luft holt.
»Ich kann
dich heute von der Arbeit abholen, wenn du willst«, schlägt Basti vor.
Ich stimme
zu. Falls er mich wieder versetzt, hat das den Vorteil, dass ich nicht irgendwo
aufgerüscht in der Gegend herumstehe, sondern einfach arbeiten kann, bis er kommt
(oder absagt). Beim Verabschieden merke ich, dass ich mich mit ihm gar nicht mehr
so leicht fühle wie noch vor einer Weile. Da musste ich nur an ihn denken und war
sofort im siebten Himmel.
Aber ist
das meine Schuld? Hat er sich nicht ein blödes Ding nach dem anderen geleistet und
mich damit wieder und wieder vor den Kopf gestoßen? Dabei sind wir erst ein paar
Monate zusammen. Es fühlt sich allerdings ganz anders an. Gar nicht mehr wie frisch
verliebt. Schade!
Wie immer
ist es meine Arbeit, die mich vor allzu trübsinnigen Gedanken rettet. Bin ich froh,
dass ich eines schönen Tages entdeckt habe, dass ich mit Leib und Seele Schneiderin
bin! Der richtige Beruf kann ein Rettungsanker sein.
Ich habe
Basti also wieder nichts von meinen Neuigkeiten berichtet (schließlich hat er auch
nicht gefragt). Nun ja, wenn alles gut geht, sehen wir uns heute Abend und dann
soll er endlich erfahren, dass er einer waschechten Musical-Chefkostümbildnerin
gegenübersitzt. Dann ist er sicher stolz auf mich.
Kaum habe
ich aufgelegt, flötet mein Handy erneut. Ich gucke auf das Display. Es ist Leopold.
Strahlend nehme ich ab. Mein Herz stolpert ein bisschen. »Hi, Leo!«
»Ich dachte
eigentlich, dass frisch angeworbene Kostümbildnerinnen etwas euphorischer sind!«,
sagt er lachend.
»Du meinst
es also tatsächlich ernst?«
»Was denkst
du denn? Nur mal nebenbei, Rosa. Ich meine immer ernst, was ich sage. Immer!«
Okay, da
er das so betont, werde ich es mir merken. Es ist wie im Märchen. Und es freut mich
sehr, dass sich die anstrengende Arbeit unter Daueraufsicht meiner Kundin doppelt
und dreifach gelohnt hat.
»Und? Wann
sagst du endlich zu?«
»Habe …
habe ich das nicht längst?«
»Ich habe
jedenfalls nichts gehört.«
»Ja«, bestätige
ich lachend. Wie vorm Traualtar. Es ist herrlich unkompliziert mit ihm.
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