Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
hämisch grinsend zu mir herüberschaut, kapiere ich endlich, dass
ich einen Fehler gemacht habe.
»Leo, ich
…«
»Hör zu,
Rosa. Ich sage dir das einmal, nicht öfter. Du arbeitest mit mir zusammen. Genauer
gesagt arbeitest du unter mir. Ich bin der Regisseur. Wenn ich dir also sage,
wir gehen irgendwo Mittagessen, um etwas zu besprechen, dann sagst du mir nicht,
dass dir das nicht passt. Wir sind ein Profiteam. Das ganze Ding wird nicht funktionieren,
wenn einer die Regeln nicht akzeptiert.«
»Ich habe
… ich habe gedacht, weil du …«
»Ich kann
kein keusches Provinzmädchen gebrauchen, Rosa. Entweder du machst mit oder du packst
deine Sachen und gehst dahin, wo du hergekommen bist. Ist das klar?«
Was für
eine Scheiße. Mir laufen Tränen über die Wangen, aber ich rühre mich keinen Zentimeter.
Eine falsche Bewegung und ich bin draußen.
Und schuld daran sind Vicki und Basti und dieser Zeitungsspießer,
die aus einem harmlosen Arbeitsessen ein Rendezvous gemacht und mir meine ganze
Unbefangenheit genommen haben, sodass ich überall Gespenster sehe. Die verpatzen
mir noch meinen Traumarbeitsplatz. Ist das schrecklich!
»Wisch dir mal die Tränen ab«, sagt Leo versöhnlicher. »Und
sag mir Bescheid, wo du nachher essen gehen willst.«
»Ich hab
kein Taschentuch«, flüstere ich. »Und Coa ist okay. Ich mag Frühlingsrollen und
so.«
Er dreht
sich um und geht. Ich glaube, er lächelt. Dennoch wage ich erst, mich zu bewegen,
als er die Tür geschlossen hat.
Marlene
fängt schallend an zu lachen. »Hast du gedacht, er will dich vernaschen?«
Tina reicht
mir ein Taschentuch. Dankbar falte ich es auseinander und wische mir über mein verheultes
Gesicht.
»Uuuh, ich
gehe nicht ins Restaurant mit dem bösen Leopold. Ich muss meine Unschuld für die
Hochzeitsnacht aufbewahren.«
»Halt’ die
Klappe, Marlene«, sagt Tina lässig. »Du bist doch nur sauer, weil du bei ihm abgemeldet
bist.«
»Du hast
ja keine Ahnung«, antwortet unsere reizende Kollegin kalt lächelnd. »Euch zwei Pickelnasen
wird er jedenfalls nicht mal mit der Kneifzange anfassen.«
Abgesehen
davon, dass nie zuvor jemand meine Sommersprossen als Pickel bezeichnet hat
… Reden wir hier wirklich noch über unsere Arbeit?
*
Meine Tränen sind erst halb getrocknet,
als sich die Tür erneut öffnet und ein nett aussehendes Pärchen zu uns hereinschneit.
»Hi, wir
wollten euch mal Hallo sagen.«
»Wir sind
Ben und Rosana. Im echten Leben Derek und Lisa.«
Die Hauptdarsteller!
Beide haben
einen leichten amerikanischen Akzent. Marlene ist als Erste bei ihnen und begrüßt
sie mit Küsschen rechts und links. Ob sie sich kennen? Oder ob Marlene einfach nur
schrecklich distanzlos ist? Oder ob ich mal wieder keine Ahnung habe, wie man sich
am Theater verhält und prompt in den nächsten Fettnapf latsche?
Tina sieht
meine Unsicherheit. »Das ist Rosa. Sie ist eure Kostümdesignerin.«
»Schön,
euch kennenzulernen«, sage ich zaghaft lächelnd.
»Sie kann
euch die Entwürfe zeigen.«
Tina ist
ein Schatz. Ich werfe ihr einen dankbaren Blick zu.
»Sehr gern«,
sagt Lisa und lächelt mich offen an. »Ich bin sehr neugierig. Alles in Ordnung mit
dir?«
»Mit mir?«
Nein, richtig
in Ordnung ist es nicht. Das muss Lisa allerdings nicht wissen. Außerdem will ich
ihr viel lieber meine Entwürfe zeigen. Das ist wenigstens ein Gebiet, auf dem ich
mich sicher fühle.
»Das ist
wunderbar, Rosa«, sagt Lisa ein paar Minuten später. »Leo hat sehr, sehr von dir
geschwärmt. Ich verstehe ihn jetzt.«
Hat er von mir geschwärmt oder von meinem Kleidern? Warum verunsichert mich Leopold
Weidenhain nur so? Es ist alles schrecklich kompliziert.
14. Oktober
1912
Gestern habe ich Friedrich
zur Rede gestellt.
Mutter hat
uns beim Tee für einen Moment alleine gelassen und da musste ich es tun. Ich wäre
sonst an meinen eigenen Gefühlen erstickt. Doch die Reaktion meines Verlobten fiel
gänzlich anders aus, als ich es erwartet habe. Er fing an zu weinen. Mit allem hatte
ich gerechnet, aber damit nicht.
Und er gab alles zu! Seine Liaison mit meinem Mädchen, sein
bewusst kühles Verhalten mir gegenüber und sogar, dass er mich anfänglich nur aus
finanziellen Gründen heiraten wollte. Ich war wie vom Donner gerührt, doch dann
kniete er vor mir nieder und entschuldigte sich. Er bat mich um Verzeihung, dass
er nicht viel eher begriffen hätte, was für ein wunderbarer, gütiger und kluger
Mensch ich sei. Er beteuerte, wie sehr er
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