Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
ein Keulenschlag.
»Im nächssen Leeben wer isch lespisch«, lallte ich. »Du auch?«
»Na ja«,
antwortete Tina und lachte. »Schade eigentlich, dass du damit bis zum nächsten Leben
warten willst.«
Sie hatte
im Gegensatz zu mir überhaupt keine schwere Zunge. Offensichtlich war sie viel klarer
im Kopf als ich. Während ich noch gegen die Nebelschwaden in meinem Gehirn ankämpfte
und über den Sinn ihrer Worte nachdachte, nahm sie mich in ihre Arme und gab mir
einen kleinen, ganz zarten Kuss auf den Mund.
»Trotzdem
schön, dich kennengelernt zu haben.«
Von drinnen
grölten unsere Saufkumpane. »Ey, können wir mitmachen?«
Angeblich
ist das ja eine Lieblingsmännerfantasie … mit zwei Frauen.
Wir sahen
zu, dass wir davonkamen.
»Findest
du alleine nach Hause?«, fragte Tina, als wir außer Reichweite der Kneipenbesucher
waren.
»Nö!« Ich
wollte nicht allein sein. Es hat mir gefallen, von ihr geküsst zu werden … so weich
und zart, ganz anders als bei einem Mann.
Himmeldonnerwetter,
war ich jetzt etwa eine Lesbe?
»Zu mir?«
Ich nickte.
Heute Morgen begriff ich gar nichts
mehr, als Tina – frisch geduscht, mit einem Handtuch um den Kopf, einem um den Körper
und einer Tasse Kaffee in der Hand – neben mir stand und mich grinsend musterte.
»Gut geschlafen,
Rosa?«, fragte sie.
»Ich … ich
weiß nicht. Ich habe alles vergessen.«
Nur an Tinas
Kuss, an den konnte ich mich erinnern und dass ich danach an ihrer Hand durch die
Straßen getorkelt bin. Doch dann? Ende.
Ich spürte,
wie ich feuerrot wurde. Zumal ich merkte, dass ich unter meiner Bettdecke außer
einem Höschen nichts am Leibe trug.
»Habe ich
… haben wir … Ich meine …«
Konnte man
über Nacht homosexuell werden? Bloß weil man mal richtig besoffen war?
»Nein, haben
wir nicht.« Tina grinste noch viel breiter. »Okay? Willst du Kaffee?«
Ich lächelte
unsicher, griff aber gierig nach der Tasse und beschloss, während ich trank, nie
wieder im Leben so viel Alkohol in mich hineinzugießen.
»Du kannst
duschen gehen. Ich mach uns Frühstück, ja?«
»Gerne.«
Tina war
herrlich unbefangen und unkompliziert. Beim Aufstehen sah ich, dass sie nebenan
auf der Couch geschlafen hatte. Eine zerknüllte Bettdecke bewies es. Ein Grund weniger,
verwirrt zu sein.
Marlene lächelt den ganzen Vormittag
vor sich hin. Gegen Mittag fängt sie auch noch an zu singen und zu summen. Ich freu
mich wirklich für sie, dass sie richtig tolle Laune hat. Gleichzeitig klingelt in
mir eine Alarmglocke, vor allem, als ich mitbekomme, dass sie immer wieder herausfordernd
zu mir herüberschaut.
Tina und
ich sind heute mit Rosanas Kleid beschäftigt. Wir kommen gut voran und überlegen,
ob wir unter das leichte beige Kleid einen weißen Baumwollunterrock mit Spitzenkante
setzen sollen.
»Willst
du es mal anziehen?«, fragt Tina.
»Soll ich?«
»Na ja,
du und Lisa ihr habt eine Größe, eine Figur. Dann sehen wir gleich, ob wir den Unterrock
lieber weglassen sollen.«
»Okay!«
Ich kriege
richtig Lust, mich zu verkleiden. Das habe ich schon als Kind geliebt.
Ich verschwinde
hinter dem Umkleidevorhang, ziehe mir das soeben genähte Kleid an und betrachte
mich im Spiegel. Die ärgsten Spuren der durchzechten Nacht sind verschwunden.
Ja, so kann
Rosana aussehen, wenn sie noch unschuldig, naiv und das erste Mal verliebt ist.
In dem Moment,
als ich aus der Kabine trete, kommt Leo in die Werkstatt. Als er mich im Kostüm
sieht, wirft er mir einen fragenden Blick zu.
Ehe ich
den Mund öffnen kann, sagt Marlene: »Tina zieht die Hosen von Ben an und dann wollen
die beiden die Liebesszene proben.« Sie grinst derartig anzüglich, dass ich knallrot
werde. »Sie haben gestern Abend schon mal geübt.«
Plötzlich
ist mir alles klar. Marlene weiß, dass Tina auf Frauen steht und als wir gestern
gemeinsam gegangen und heute Morgen gemeinsam im Theater aufgetaucht sind, da hat
sie eins und eins zusammengezählt. Jetzt freut sie sich, weil sie denkt, ich sei
keine Konkurrenz mehr im Rennen um den schönen Regisseur.
Ich muss
ebenfalls grinsen – vor Erleichterung. Wenn ich Marlene in dem Glauben lasse, dass
ich was mit Tina habe, ist sie vielleicht nicht mehr so zickig zu mir. Käme dem
Arbeitsklima und meinem Wohlgefühl sehr zugute. Andererseits: Will ich das? Will
ich, dass alle glauben, ich wäre mit einer Frau liiert? Und vor allem, wie lange
kann das gut gehen?
Leo lässt
Marlenes Fiesheiten unkommentiert, was mir wieder einmal vor Augen
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