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Herbsttagebuch: Roman (German Edition)

Herbsttagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Herbsttagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Hohlfeld
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sich auf das Leben mit mir freuen würde,
wie gern er mit mir gemeinsam Bücher lesen würde, ja, vielleicht könnten wir sogar
einen literarischen Zirkel gründen. Er würde gern ein offenes Haus mit mir gemeinsam
führen, ein Haus voll Forscher, Dichter und Denker. Er sei zu scheu gewesen, um
offen mit mir zu reden, doch jetzt müsste er es tun, denn ihn quäle die Angst, mich
zu verlieren.
    Seine schönen,
dunklen Augen leuchteten warm. Ich las in ihnen, dass seine Reue ernsthaft war.
Und ich verzieh ihm!
     
    Diese Wendung irritiert mich sehr.
Sollte ich mich die ganze Zeit in Friedrich getäuscht haben? Oder sieht er nur seine
Felle oder sein Geld wegschwimmen und hat schnell eine Augusta-Betörungskomödie
einstudiert? Warum glaubt sie ihm?
    Sie ist
eine kluge Frau. Ich denke nicht, dass man sie einfach bequatschen kann. Sie hat
also wirklich die Wahrheit in seinen Augen gelesen … In den Augen lesen. Na ja,
meiner Meinung nach ist das etwas, was irgendein Liebesromanautor im Suff erfunden
hat und seitdem glauben alle diesen Unsinn.
    ›Die Augen sind das Fenster zur Seele.‹ Hach! Schöner Schmalz!
Aber nur, wenn man die Dechiffrierung beherrscht. Ich jedenfalls habe keine Ahnung,
nicht die geringste, wie dieses magische Augenlesen funktionieren soll.
    Augen sind
Augen. Sie sind blau, grün oder braun oder alles zusammen. Manche sind groß, manche
klein, manche schön geschminkt, manche weniger. Ich habe mir schon Tausende von
Augen angesehen. Aber noch nie, nicht ein einziges Mal, ist es mir gelungen, in
ihnen etwas zu lesen .
    Dabei wäre
gerade am Anfang, wenn zwei sich kennenlernen und mit Worten noch zurückhaltend
sind, ein bisschen Augenleserei echt hilfreich. Schade, dass es kein Wörterbuch
der Augensprache gibt. Das wär cool und würde der Menschheit eine Menge Frust ersparen.
Und mir die ganze verdammte Unsicherheit wegen Leopold. Wenn ich in seinen Augen
lesen würde ›Du bist eine tolle Schneiderin, und ich will wirklich nur mit dir arbeiten.
Nichts weiter. Also, das heißt, ich bin nicht in dich verliebt. Klaro?‹, Mann, das
wäre toll!
    Vielleicht
steht das sogar in seinen Augen und ich bin nur zu doof, es zu sehen? Ach, Quatsch!
Romanautoren und gefühlsduselige Tagebuchmädchen, die irgendeinen Schmalz von der
Wahrheit schreiben, die in den Augen zu lesen sei, haben einfach eine Macke.
    Und, sorry,
Augusta, ich bin sicher, der blöde Friedrich verarscht dich nach Strich und Faden.
     
     
     
     

7. Kapitel
     
    Verwirrung komplett
     
    »Kommst du mit in die Kantine?«,
fragt Tina.
    »Muss ich
denn zum Mittag nicht wieder mit Leo irgendwohin?«, frage ich unsicher.
    »Glaube
nicht«, sagt Tina locker. »Sonst hätte er dir Bescheid gesagt.«
    Ich habe
heute, seit ich die Werkstatt betreten habe, noch nicht wirklich aufgeblickt. Bens
erstes Kostüm ist fast fertig. Die Chino will ich vor dem Essen auf jeden Fall zu
Ende nähen. Die Kleiderstangen sind nach wie vor ziemlich leer. Das wird sich allerdings
schnell ändern.
    Marlene
hat sich ein bisschen von uns abgesondert und fertigt mehr oder weniger in Eigenregie
die Kostüme für die Nebendarsteller und Statisten an. In der kommenden Woche wird
sie zwei Näherinnen dazubekommen. Allein wäre die Arbeit für sie kaum zu schaffen.
    Wir beide haben von unseren Zuständigkeiten her also nicht
sehr viel miteinander zu tun, abgesehen davon, dass wir in einem (wenn auch riesigen)
Raum zusammenarbeiten und sie natürlich ihre Arbeiten mit mir abstimmen muss.
    Marlenes
Kostümentwürfe gefallen mir. Mit dem gleichen Geschmack und einem untrüglichen Gespür
für schlichte Eleganz, mit dem sie ihre eigene Kleidung auswählt, staffiert sie
ihre Darsteller aus. Das macht sie gut, finde ich, denn das Hauptaugenmerk liegt
nun einmal auf Rosana, Ben und Oran, dem Fürsten der Finsternis, bei deren Garderobe
ich mich richtig austoben und es durchaus opulent zugehen darf.
    Im Prinzip
könnten wir gut zusammenarbeiten. Ich finde ihre Entwürfe genial. Aber Marlene behandelt
mich wie den sprichwörtlichen letzten Dreck – schnippische Antworten, bewusstes
Überhören, Augenbrauen hochziehen, Schulterzucken und überhebliches Grinsen, wenn
ich etwas sage. Die ganze Palette.
    »Eigentlich
sollte sie Chefkostümbildnerin werden«, klärt mich Tina zwischen zwei Bissen
Reis mit Hühnerfrikassee auf. »Dann hat Leo dich entdeckt und aus war die Maus für
Marlene. Ich fürchte, das wird sie dir nicht verzeihen.«
    Das fürchte
ich ebenfalls – im wahrsten

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