Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
führt, dass ihm
vollkommen egal ist, was ich fühle oder nicht.
Seine Blicke
gleiten über meine Gestalt. Ich fange ein bisschen zu zittern an.
»Gefällt
mir«, sagt er in der etwas knappen Art, in der er, seit ich hier arbeite, immer
mit mir spricht. »Kriegst du das Reisekleid bis übermorgen hin?«
»Ja, klar«,
antworte ich. »Tina und ich fangen gleich an.«
Rosanas
nächstes Kleid wird schon nicht mehr ganz so lieblich aussehen, denn schließlich
will sie jetzt kämpfen und ihren geliebten Ben nicht einfach der bösartigen Vampirkönigin
überlassen.
Marlene
beobachtet uns auffällig unauffällig. Ich weiß, dass sie jedes Wort mithört. So
kriegt sie mit, dass Leo mich auf einen Drink einlädt. Eigentlich möchte ich nach
Hause (ich hatte gestern genug Alkohol für den Rest meines Lebens), aber ich trau
mich nicht, es ihm zu sagen, weil er sonst bestimmt wieder ausflippt.
»In Ordnung«,
antworte ich also brav. »18 Uhr.«
Als er raus
ist, fängt Marlene direkt wieder an zu singen. Ich höre einfach nicht mehr hin und
fertig.
*
Auf die Sekunde pünktlich betrete
ich das Corroboree, eine australische Bar am Potsdamer Platz. Leo sitzt an einem
der Fenstertische im Obergeschoss. Ich habe ihn schon von draußen gesehen.
»Was willst
du trinken?«, fragt er, als ich mich zu ihm setze.
»Einen Milchkaffee
mit Karamellsirup«, antworte ich und schüttele mich bei dem Gedanken an Alkohol.
»Ist nicht
dein Ernst?«, sagt Leo lachend. »Ich dachte, wir machen uns einen netten Abend zusammen.«
Wie? Ein
netter Abend? Ich dachte, es gibt was zu den Kostümen zu besprechen.
Ich lächle
ihn verunsichert an. Er vertieft sich in die Getränkekarte.
Irgendjemand
hat mir mal gesagt, dass man, um einen Kater zu vertreiben, mit dem Getränk weitermachen
soll, mit dem man aufgehört hat. Ich fürchte, dieser Ratschlag ist bescheuert und
stammt aus dem Weisheiten-Fundus eines Alkoholikers. Aber egal. Da ich scheinbar
keine andere Wahl habe, kann ich ihn ja mal ausprobieren.
»Ich nehme
einen ›Hemingway Sour‹«, sagt Leo, nachdem er ausführlich die Karte studiert hat.
»Das nehme
ich auch«, stimme ich zu. »Aber erst, nachdem ich einen Kaffee, ein saftiges Krokodilsteak
und einen Känguruburger verputzt habe.«
»Auf solche
Sachen hast du also Appetit?«, fragt Leo lachend. »Ich hätte angesichts dieser Speisekarte
eher auf ein entsetztes Igittigitt oder Ogottogott getippt.«
»War ja
auch ein Witz.« Jetzt lache ich. »Meinst du, ich esse ein süßes, kulleräugiges Känguru?
Ich nehme eine Ofenkartoffel mit Lachs und Wokgemüse.«
»Haben Lachse
keine Kulleraugen?«
»Nö.«
Die Flachserei
tut mir gut. Leo guckt mich lieb an – gar nicht so chefmäßig wie im Theater. Bestimmt
mildert das Essen die zu erwartende Wirkung des Alkohols ein wenig ab, sodass der
Abend alles in allem vielleicht doch ganz schön wird.
»Wie fühlst
du dich nach den ersten Tagen bei uns?«
Fürchterlich!
Ich blicke überhaupt nicht durch, was läuft.
»Gut«, antworte
ich. »Die Arbeit macht Spaß. Die Kolleginnen sind nett.«
»Du findest
Marlene nett?« Leo lacht laut. »Tina ist super. Die ja. Aber Marlene? Also, das
hat bisher keiner über sie gesagt.«
»Wieso?«
»Das wirst
du schon noch merken.«
Ich weiß,
dass Leo es lustig gemeint hat, doch ich kann leider gar nicht lachen. Allein deshalb,
weil meine liebe Kollegin heute den ganzen Tag süffisant gegrinst hat.
»Rosa, hör
zu. Das ist alles neu und verwirrend für dich. Es tut mir sehr leid, dass ich neulich
so hart zu dir war. Ich hab nicht gleich kapiert, dass du dich erst eingewöhnen
musst. Also nimm meine Einladung heute als Entschuldigung, okay?«
Ich nicke
und bin ein bisschen gerührt, dass er sich bei mir entschuldigt. Er ist überhaupt
nicht so überheblich, wie er manchmal tut.
»In Ordnung.«
»Du sahst
vorhin übrigens entzückend aus in Rosanas Kleid.«
»Da… Danke!«
Eigentlich ist es schön mit Leo. Nach einer Stunde und den
ersten Schlucken vom Cocktail bin ich endlich locker und genieße, dass ich mit einem
coolen Regisseur in einer Bar sitze und schwatze, als ob wir uns seit Jahren kennen.
Er hat so viele Anekdoten aus der Welt der Filmstars auf
Lager. Es macht richtig Spaß, ihm zuzuhören. Als Leo kurz aufs Klo geht, lasse ich
ein wenig meine Blicke schweifen.
Das Corroboree
liegt im Innenhof des Sonycenter, dem runden, futuristischen Bauwerk mit der coolen,
leicht schiefen Dachkonstruktion, das mir von allen Häusern
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