Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
der Nacht im Theater, aber am nächsten Morgen, als ich neben Leo und nicht
wie sonst neben Basti aufgewacht bin. Doch ich wollte und konnte mich nicht näher
mit ihm und unserem Verhältnis beschäftigen, nachdem Leo und ich miteinander geschlafen
hatten. Noch nicht.
Also schaltete
ich mein Handy aus, versteckte es ganz tief unten in meiner Handtasche und nahm
mir vom Leben, was ich kriegen konnte. Wenigstens an diesem einen Wochenende.
So unglaublich
glücklich war ich lange nicht mehr.
Und während
ich das dachte, spürte ich, wie paradox die ganze Situation war. Denn genau dasselbe
hatte ich am Wochenende vorher mit Basti empfunden. Da war Leo ganz weit
weg gewesen. Niemals hätte ich geglaubt, dass so etwas möglich ist.
»Rosa, sag mal, wo warst du bloß?«
Vicki steht käsebleich mit schwarzen Augenringen vor mir, als ich mir gerade die
Schuhe ausziehe. Hinter ihr taucht meine Schwester Lila auf.
»Mein Gott,
Rosa. Da bist du ja endlich!«, schreit sie.
Ich lande
unsanft auf dem Boden der Tatsachen. Seit Freitagabend war ich quasi wie vom Erdboden
verschluckt und habe keinem Menschen gesagt, wo ich bin. Was hätte ich auch sagen
sollen? ›Hey Leute, wollte nur Bescheid geben, dass ich bei meinem Regisseur hängen
geblieben bin. Leider haben wir verdammt viel Spaß im Bett, weshalb ich nicht nach
Hause kommen kann. Sorry!‹
Sie haben
sich natürlich Sorgen gemacht.
»Ja, warum
soll ich denn nicht da sein?«, frage ich trotzdem unwillig. »Habt ihr etwa die Polizei
gerufen?«
»Findest
du das witzig, Mensch?«, motzt Vicki. »Und wenn wir es getan hätten? Na und! Dein
letztes Lebenszeichen kam schließlich am Freitagabend. Das sind 48 Stunden, in denen
sonst was hätte passieren können.«
Langsam,
aber sicher kommt es in meinem Gehirn an, dass ich doppelt Mist gebaut habe. Ich
hätte Vicki wenigstens eine SMS schicken sollen.
»Es tut
mir leid«, sage ich leise.
»Wo warst
du denn?«, will Lila wissen.
»Das … äh
… kann ich … kann ich euch nicht sagen«, stottere ich herum.
»Und damit
ist die Frage wohl beantwortet«, sagt Vicki und guckt mich böse an.
»Na und?«,
antworte ich trotzig. »Wäre es dir lieber gewesen, ich wäre ermordet oder entführt
worden?«
»Ich fasse
es nicht!« Dermaßen wütend habe ich Vicki nie zuvor gesehen. »Ein Gewissen hast
du scheinbar nicht, oder? Basti und Juli haben hier gestern Abend auf dich gewartet.
Sie haben zusammen für dich gekocht. So liebevoll, du glaubst es nicht. Die Kleine
ist schließlich mit dem Kopf auf dem Tisch eingeschlafen, weil sie unbedingt auf
dich warten wollte. Sie hat sich total auf dich gefreut. Und Basti wurde mit jeder
Minute blasser. Ich habe ihm irgendeinen Scheiß erzählt, dass du gleich zurück sein
müsstest und noch mal raus bist, um was einzukaufen. Ich hatte ja keine Ahnung,
dass du auch an diesem Abend nicht nach Hause kommst. Basti war fertig, nachdem
er endgültig kapiert hat, was los ist. Dann ist er gegangen, und ich hab geheult,
so leid tat er mir.«
Mit jedem
Wort, dass Vicki mit unterdrückter Wut hervorbringt, fühle ich mich elender und
schlechter. Als sie fertig ist, fange ich an zu weinen.
»Ihr müsst
mir helfen«, schluchze ich. »Es ist alles wahnsinnig kompliziert. Es ist wegen Leo
und Basti … Ich weiß überhaupt nicht, wo mir der Kopf steht. Ich liebe sie – beide.«
»Pah«, sagt
Vicki und wendet sich ab. »Jetzt heulst du, dabei warst du richtig eiskalt. Konntest
du nicht Basti die Wahrheit sagen, bevor du mit diesem Hollywoodschnösel in die
Kiste steigst?«
»Vicki. Rosa. Hört mal …« Lila versucht, sachlich zu bleiben
und uns zu beruhigen. »Lasst uns hinsetzen und überlegen, was …«
»Das musst du gerade sagen, Vicki!«, unterbreche ich, plötzlich
ärgerlich, die Bemühungen meiner Schwester. » Du willst mir eine Lektion in
Sachen Ehrlichkeit geben?«, frage ich, mit jedem Wort lauter werdend. Vicki wird
noch bleicher (falls das überhaupt möglich ist) und legt flehend den Finger auf
die Lippen. Doch ich habe keine Lust, ruhig zu sein. Ich bin total entrüstet über
meine Freundin. Diese gemeine, doppelzüngige Moralverfechterin!
»Wie viele Ewigkeiten hast du denn gebraucht, um deinem
eigenen Ehemann zu verraten, dass du schwanger bist? Stattdessen hast du ihn laufend
weggeschickt, bist ohne ein Wort tagelang abgehauen und da musste ich dann
irgendeinen Scheiß erzählen.«
»Ist das
wahr?«, fragt Lila leise.
Vicki steht
mit hängenden Schultern im Flur. In
Weitere Kostenlose Bücher